90 B. Bretholz: Lateinische Paläographie.
darauf hingewiesen, wie gerade in den Jahrhunderten, die der karolingischen Schrift-
reform folgten, es ungemein mißlich ist, Regeln und Gesetze aufzustellen, nach denen
Handschriften, die sonst keine Anhaltspunkte für ihre Entstehungszeit darbieten,
datiert werden könnten. Anderseits aber wird man bei einiger Übung sehr bald aus
eigener Wahrnehmung finden, daß auch in dieser Periode ein Jahrhundert oder länger
auseinander liegende Stücke sich oft recht deutlich voneinander abheben, nur mag es
schwierig sein, die charakteristischen Unterschiede genau in Worte zu fassen. Doch
spielen bei der Zeitbestimmung von Handschriften mannigfache äußere Umstände, die
den Schriftcharakter beeinflussen, mit hinein; um einiges zu erwähnen: die Indivi-
dualität des Schreibers, wenn er nicht so sehr den Zug seiner Zeit, sondern etwa in vor-
gerücktem Alter stehend oder aus fremder Gegend stammend die Schreibweise seiner
Schule wiedergibt; ferner die Vorlage, die nachweislich selbst auf geübte Schreiber gleich-
sam abfärbt; oder die Qualität des Pergaments, der Schnitt der Feder. Unter solchen
Einwirkungen gewinnen Handschriften oft ein Aussehen, das nicht so ganz mit dem
Durchschnittscharakter der zeitgemäßen Schrift übereinstimmt, bald altertümlicher,
bald jünger erscheint, als es in Wirklichkeit der Fall ist.!)
$8 l. Das 10. und 11. Jahrhundert.
Die Schrift des 10. Jahrhunderts wird gewóhnlich gegenüber jener des vorher-
gehenden Säkulums als weniger sorgfältig und unregelmäBiger charakterisiert.?) Der
englische Paläograph TxomesoN legt auf eine Reihe einzelner Momente Gewicht. Er
betont das Verschwinden des im 9. Jahrhundert stark ausgeprägten Unterschiedes
zwischen starken und dünnen Strichen, das immer merklichere Zurückweichen des
offenen a, die Schließung der beiden Bogen bei dem Buchstaben g, die im 9. Jahrhundert
zumeist noch offen gehalten sind, so daß g einer ungelenk geschriebenen 3 (3) ähn-
lich. sei.3)
Scharf und klar hat dann SrckzL im Zusammenhang mit seiner Untersuchung
über eines der interessantesten Dokumente jener Zeit, über »Das Privileg K. Ottos I.
für die rómische Kirche vom Jahre 962" (S. 10) die Bücherschrift des 10. Jahrhunderts,
die in dieser Urkunde angewendet erscheint, gekennzeichnet. Als ihr Wesen hebt er
hervor: GleichmáBigkeit, kráftigen, schmucklosen Zug. Im allgemeinen besteht die
Neigung, in grof- und breitgeformten Buchstaben zu Schreiben, die auch innerhalb
der Worte merklich voneinander abstehen, wodurch die Wortdistinktion ungünstig be-
einflubt wird. Der allmähliche Wandel, der sich in der Schriftentwicklung seit der
karolingischen Reform kundgibt, liegt nicht eigentlich in der Veründerung der ein-
zelnen Buchstaben als solchen, vielmehr sind es die primitiven Bestandteile der Buch-
Staben, die Scháfte, Bogen und Halbbogen, die einer Umformung unterliegen.
Dem 10. Jahrhundert eigentümlich ist, wie SICKEL dartut, daB die Scháfte von i, «, ^», m
von oben bis unten gleichmäßig stark und gerade gezogen werden, nicht wie früher sich verdünnen
und links auslaufen; bei », m biegt der letzte Schaft nach rechts ganz wenig ab. Die Ober- und
Unterschäfte verlaufen zumeist gleichmäßig, die so markante Verdickung der Oberschäfte, die im
vorigen Jahrhundert charakteristisch war, tritt mählich zurück; die Rundungen und Ovale er-
scheinen voll ausgebildet und schön geformt.
Beim weiteren Fortschreiten der Schrift spielen die Abschlußstriche bei den kurzen Z-, N-,
m-Schäften eine ungemein wichtige Rolle, sie treten auch bei den Unterschäften von p und q auf,
die Oberschäfte erhalten Ansatzlinien oder auch Ansatzpunkte, ein letzter bescheidener Rest der
1) Tuowrsow, S. 262, führt ein interessantes Beispiel dieser Art an, eine Handschrift vom
Jahre 948 oder spáter (Hrabanus Maurus' Kommentar zu Jeremias, Pal. Soc. II, 109), deren Schrift-
charakter auf eine beträchtlich frühere Periode schließen ließe. — Bezüglich der Beeinflussung des
Schriftcharakters durch äußere Momente vgl. die allgemeine Bemerkungen Srckzrs in Acta Karol.
S. 299, Das Privilegium K. Ottos L, S. 13.
2) Vgl. etwa PRov, Manuel S. 93. 3) Handbook, S. 258.
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