100 B. Bretholz: Lateinische Paláographie.
Jahrhunderts in Übung war, durch die vollstándige Durchbildung der Buchstaben-
verbindungen vermittelst der Schleifen, durch die Gestalt des a, dessen Bauchlinie mit
dem Schaft wieder verschmilzt (a), durch das Vorkommen von einfachen und doppelten
Strichen bei Wortabteilungen am Ende der Zeilen. Auch haben die Kürzungen, die
in der Kursive von Anbeginn sehr reichlich auftreten, eine noch weitere Ausdehnung
gewonnen,
Dabei ist auch der Veränderung, die das Kürzungszeichen erfährt, zu gedenken. An sich
erschwerte der selbständige Kürzungsstrich sowohl das schnelle als das indistinkte Schreiben, da
man zu seiner Anbringung absetzen und mitten im Worte unterbrechen mußte. Die Richtung des
Kürzungsstriches ist gewöhnlich von links nach rechts, und schon im Verlaufe des 13. Jahrhunderts
bemerkt man, wie der Kürzungsstrich, obwohl selbständig angesetzt, sich mit dem Wortende ver-
bindet; eine weitere gegen Ende des 14. Jahrhunderts einsetzende Neuerung ist es, daß dieser Strich
aus dem letzten Buchstaben heraus zumeist in starkem Bogen von rechts nach links zurückgeworfen
erscheint.)
Wie diese Entwicklung auch noch im 15. Jahrhundert fortschreitet und besonders
in Kanzlei- und Privatschriften, wie Registern, Briefen, kurzen Aufzeichnungen,
Konzepten variiert, das läßt sich an den Beispielen, die allerdings auf bestimmte
Gebiete beschränkt, aber deshalb um so lehrreicher in den Monumenta palaeographica
vorzüglich in den Lieferungen VI, XIIund XIII geboten werden, im einzelnen verfolgen.?)
Deutsche Buchkursive des 15. Jahrhunderts reprüsentiert uns T. 29 bei AgNDT-
TANGL aus Thomas Ebendorfers Kaiserchronik, T. 43 Suppl. (112) bei SrEFFENS,
Dekrete des Basler Konzils von 1433. Sie zeigt deutlich die Veränderung, die sich
vollzieht. Die Schleifen bei den Oberschäften von b, I, A sind verschwunden, selbst, d
ist oft statt mit Schleife mit schräg liegendem Balken gezogen; die Schrift hat einen
kráftigen deutlichen Zug, w und n, c und v sind genau voneinander zu unterscheiden;
statt des spitzigen und eckigen macht sich ein mehr runder Charakter geltend.
$ 3. Urkundenschrift.
In den beiden Hauptgruppen, den Kaiser- und Papsturkunden, bedeutete,
allerdings aus verschiedenen Ursachen, das 13. Jahrhundert eine Periode der Re-
organisation und Konsolidierung des Urkunden- und Kanzleiwesens überhaupt. Der
selbständige Charakter der kaiserlichen Diplome in Schrift und Ausstattung, wie er
noch im 11. Jahrhundert deutlich hervortrat, ging im folgenden einigermaßen verloren,
hauptsächlich infolge der Gewohnheit, daß viele kaiserliche Urkunden nicht durch
die Reichskanzlei ausgestellt, sondern in Reinschrift von den Empfängern zur Be-
stätigung und Vollziehung vorgelegt wurden. Neue Ordnungen in der Reichskanzlei
ergaben sich erst unter K. Friedrich II., der sein geregeltes Kanzleiwesen aus Italien
nach Deutschland mitbrachte. In Schrift und Ausstattung läßt sich eine Neuerung
in der Richtung wahrnehmen, daß — in Nachahmung von Eigentümlichkeiten, die im
päpstlichen Urkundenwesen in Übung standen?) — auffallende Verzierungen im
.Namen und Titel des Kaisers sich breit machen, im Kontext wiederum die durch
Zieraten an den Schäften und Kürzungsstrichen charakterisierte diplomatische Minuskel
in Anwendung kommt und für mindere Ausfertigungen die in Italien nie vergessene
Kursivschrift, hier allerdings in durchaus reiner und regelmäBiger Ausführung, Platz
1) Vgl. Scpuw T. 49 v. J. 1380 und die Erläuterungen daselbst, sowie das soeben an-
geführte Stück bei STEFFENS.
2) Die beiden Lief. XII u. XIII bringen Proben aus den Registerbüchern der Reichskanzlei
von 1401—1500; in Lief. VI, T. 6—10 sind Schriftproben aus der ersten Hälfte des 15. Jahrh., dar-
unter aus der Frankfurter Reichstagskorrespondenz (1434) und den Nôrdlinger Missiven ( (1487),
in Lief, I, T. 9, 10 Briefe und Briefkonzepte bayerischer Herzóge (1435 u. 1473) u. a.”
1893), 3) Vgl. MÜHLBACHER, Kaiserurkunden und Papsturkunden in MIOG. Ereinzungsband IV
( 513.