Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

  
  
104 B. Bretholz: Lateinische Paläographie. 
diesen L. A. CHAssANTs , Dictionnaire des abréviations latines et françaises . . . du 
moyen áge . . ."!) durch den in der Einleitung durchgeführten Versuch, die Kürzungs- 
arten zu gruppieren und eine bestimmte Terminologie einzuführen. Die beiden von ihm 
angewandten Bezeichnungen: Kürzung durch Kontraktion (Auslassung) und Sus- 
pension (Weglassung) sind seither fast allgemein in Übung. Im übrigen ist sein System 
ziemlich kompliziert. WATTENBACH in seiner ,Anleitung^ und Paorr in seiner (von 
Dr. K. LOHMEYER übersetzten) Schrift „Die Abkürzungen in der lateinischen Schrift 
des Mittelalters“ (Innsbruck 1892) haben eine einfachere Systematik durchzuführen 
versucht. Auf diesen verschiedenen Systemen weiterbauend, hat zuletzt A. CAPPELLI 
in seinem „Dizionario di abbreviature latine ed italiane“ (Mailand 1899), das in seiner 
deutschen Übersetzung als „Lexicon abbreviaturarum“ (Leipzig 1901) in Deutsch- 
land recht bekannt geworden ist, eine Scheidung der Kürzungen in sechs große Gruppen 
durchgeführt: 1. durch „Abbrechung“, d. h. Suspension, wobei ein zusammenhängender 
Teil vom Anfang des Wortes gesetzt, der Schluß aber fortgelassen wird; 2. durch Kon- 
traktion, d. i. Verkürzung des Wortes durch Weglassen einiger mittlerer Buchstaben, 
Bewahrung des Anfangs- und Endbuchstaben in jedem Falle; 3. durch Abkürzungs- 
zeichen mit eigener Bedeutung, wie 2 für con, 9 für us, 0s, 5 für er; 4. durch Abkürzungs- 
zeichen mit veründerlicher Bedeutung; 5. durch übergeschriebene Buchstaben, die 
besonders in der spüteren Zeit des Mittelalters sehr allgemein Werden; und 6. durch 
konventionelle Zeichen. Auch hier erscheint das System noch zu weitläufig, während 
anderseits auf die Kürzungen, die mit den tironischen Noten in Zusammenhang stehen, 
keine Rücksicht genommen ist. Allein von diesem Gesichtspunkt der mehr oder minder 
genauen Präzisierung des Kürzungssystems nach seiner äuBeren Form erwächst dem 
paläographischen Studium an sich kein besonderer Nutzen. 
In neue Bahnen wurde die Forschung über das mittelalterliche Abkürzungswesen 
durch die Arbeiten L. TRAUBES gelenkt, der als erster die geschichtliche Entwicklung 
der Abbreviaturen verfolgt und an verschiedenen typischen Beispielen dargelegt hat. 
Zunüchst bis in die karolingische Zeit; denn wie diese ,für uns wichtigste Stufe . .. 
allmählich erreicht worden ist, . . . muB vor allem erkannt werden", da, wie für die 
Schrift selbst, so auch für die damit zusammenhängende Kürzungsweise die Zeit der 
karolingischen Schriftreform ein letztes großes Entwicklungsstadium bedeutet. In 
genetischer Art sind von TRAUBE zuerst die Kürzungen für autem und noster (vester), 
wie sie in vorkarolingischer Zeit in den verschiedenen Schriftweisen sich bilden, be- 
haupten, verschwinden, dann aber vorzüglich die Nomina sacra untersucht und erklärt 
worden.) Der Inhalt dieser grundlegenden Ausführungen sei auch hier in aller Kürze 
angedeutet. T 
Die Suspension ist nicht nur älter, sondern sie ist Jahrhunderte hindurch die 
einzige und die eigentliche römische Kürzungsweise. Die Kontraktion wurde in der 
griechischen Schrift bei 15 jüdischen und christlichen nomina sacra angewendet. Davon 
wurden in die ältesten lateinischen Bibeltexte nur vier Kürzungen übernommen: 
DS (deus), SPS (spiritus), I HS (Jesus), und XPS (Christus). An diese Muster knüpfte 
man an und ersetzte, allerdings nicht vor dem 5. Jahrhundert, Suspensionen wie ECC L 
(ecclesia) durch. ECC LA, N. (noster) durch N R, bildete neue wie DNS oder DMS 
(dominus), SCS (sanctus). War nur einmal „der christliche Kalligraph zum haupt- 
1) Die erste. Aufl. erschien 1846, eine fünfte im J. 1884. 
2) Für „autem“ vgl. „Pal. Anz.“ in NA. XXVI, S. 232 ff.; für „noster“ „Perrona Scottorum“ 
in SB. Bayer. Ak., Jahrg. 1900, S. 497 ff. ; die Arbeit über die „Nomina sacra. Versuch einer Geschichte 
der christlichen Kürzung“ bildet Bd. IT der „Quellen u. ‚Untersuchungen z. lateinischen Philologie 
des Mittelalters“ (München 1907). Vgl. jetzt den Aufsatz „Lehre und Geschichte der Abkürzungen“ 
in: Vorlesungen u. Abhandlungen I, 129—156; vgl. auch II, 18ff. 
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