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Zweiter Hauptabschnitt: Entwickelung der lateinischen Schrift. Zehntes Kap.: Anhang. 109
náchstfolgenden ausgedrückt wird, oder wenigstens die Vokale durch die auf sie folgen-
den Konsonanten, also a, e, à, o, « durch b, f, k, p, x. Daneben sind eine Reihe anderer
Systeme, Anwendung von Punkten, Strichen, Kreuzen, Ziffern, Buchstaben aus dem
griechischen und anderen Alphabeten, Kombination dieser Formen und Ähnliches
im Mittelalter im Gebrauch. Zu eigentlicher Bedeutung gelangt die Geheimschrift
aber erst in der modernen Diplomatenschrift, deren Anfánge sich in Italien bis ans
Ende des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen.!)
§ 3. Lateinische und arabische Zahlzeichen.
Die bis heute gebräuchliche Anwendung der romischen Zahlzeichen I (1), V (5),
X (10), L (50), C (100), D (500), M (1000 ),?) aus denen alle übrigen Zahlen durch
additive (III = 3), substraktive (IX — 9) oder multiplikative (TIC = 200) Art
gebildet werden, ist auch in mittelalterlicher Zeit durchaus und überall geläufig;
wenige Besonderheiten nur kommen hier in Betracht.
Im allgemeinen werden Zahlzeishen zwischen Punkte, die in die Mitte oder unten gestellt
erscheinen, eingeschlossen. Beim Zusammentreffen mehrerer / wird der letzte oft unter die Zeile
gezogen, hier und da werden die Scháfte, wie etwa bei den Buchstabenscháften, untereinander
verbunden; dann kann leicht 77 einem 4 ähnlich werden, welches Zeichen aber auch neben V regel-
mäßig für ó vorkommt; ebenso ist die Verwechselung von 4 (= vero) mit quinto leicht. Ob die in
westgotischer und auch merowingischer Schrift vorkommende Form 4 für VI aus einer Ligatur
von V und 7 oder aus griechischen Zahlzeichen zu erklären sei, ist vorläufig noch strittig.?) Für D
wird später auch die Minuskelform d sehr häufig angewandt, schon in Datierungen von Karolinger-
diplomen und sonst; für M kommt eine wohl daraus entstandene gewundene Gestalt oo vor, wogegen
eine andere meist in westgotischen Quellen vorkommende Form 7 bis nun nicht genügend erklärt
ist; WATTENBACH sucht sie in Verbindung zu bringen mit einer Art multiplikativer Schreibung von
1000 : I, also I mit Kürzungsstrich; gewöhnlicher ist bei Hundert und Tausend die Anwendung
eines kleinen hochgestellten C oder M: IIC (= 200), ITTM(= (3000). Wichtig ist schließlich die Be-
zeichnung von Halbteilen; die ältere Form durch Anfügung eines S (semis) erhielt sich im Mittel-
alter spärlich; man führte graphisch eine Teilung ein: /= %, 4 = 3%, und ebenso werden 4% und
9% durch V und X ausgedrückt. Eine eigentümliche Schreibung der Zahlzeichen findet sich in den
pàpstlichen Bullen, indem hier die einzelnen Zeichen oft nicht neben-, sondern übereinander gesetzt
werden: X = 20, V = 85); statt der Striche erscheinen auch Punkte,5)
Die Zahlzeichen, die wir heute als arabische Ziffern den rómischen gegenüber-
stellen, sind indischen Ursprungs.$) Den Arabern wohl schon im 8. Jahrhundert bekannt,
erhielten sie unter ihnen weitere Verbreitung durch eine Schrift des Mohamed ibn Musa
Alchwarizmi über Rechenkunst, die zwischen 813 und 833 entstanden ist; danach erhielt
auch das Rechnen nach dem indisch-arabischen Zahlensystem den Namen Algorismus
oder Algorithmus. Eine lateinische Übersetzung dieses liber Algorismi, die sich in
einer 1857 in der Bibliothek zu Cambridge entdeckten Handschrift saec. XIV. fand,
dürfte vielleicht von einem englischen Mónch Atelhart von Bath (der nachweislich ein
1) Vgl. A. MgrsTER, Die Geheimschrift im Dienste der päpstlichen Kurie von ihren Anfängen
bis ans Ende des XVI. Jahrhunderts. Paderborn 1906.
2) Über Entstehung und Erklärung der römischen Zahlzeichen gilt als grundlegende Arbeit
Ta. MowwsENs Abhandlung im Hermes XXII (1887), S. 576 „Zahlzeichen und Bruchzeichen",
während ZANGEMEISTERS System (SB. Berl. Ak. 1887, S. 1011) von Mowwszx als unrichtig erwiesen
wurde in Hermes XXIII (1888), S. 152.
3) Die erstere Ansicht vertritt PAorr, GrundriB, S. 88, die andere WaArrENBACH, Anleitung,
S. 98, aber beide nieht entschieden; daselbst aueh die àltere Literatur. Hierzu vgl. jetzt R. BEER,
Mon. Pal. Vindobon. Lief.I, p. 16. da dieses Zeichen für VI. auch im halbunzialen Wiener Hilarius
vorkommt. =
4) Vgl. OrrENTHAL in MIOG. V (1884), 133. 5) Vgl. DrrramP ebenda IV (1883), 508.
6) Vgl. für das Folgende M. CAnTor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, I
(3. Aufl. 1907), 707ff.; A. NAGL, Über eine Algorismusschrift des 12. Jahrhunderts und über die
Verbreiteng der indisch-arabischen Rechenkunst und Zahlzeichen im christlichen Abendlande in
Z. Math. u. Physik 34 (1889), S. 119ff.; An. HuxMzR, Zur Einführung des indisch-arabischen Zahlen-
systems in Frankreich und Deutschland, in Z. für d. ósterr. Gymnasien LV (1904), S. 1093.