16 B. Bretholz: Lateinische Paläographie.
deckungen in Ostturkestan zu danken ist. Die Verbindung naturhistorischer und
historischer Methode bei diesen Untersuchungen hat zu Ergebnissen geführt, die den
Anspruch auf unanfechtbare Richtigkeit erheben können und auch seither allgemein
anerkannt sind.!) Sie gipfeln in den beiden Hauptsätzen, daß es ein aus roher Baum-
wolle erzeugtes Papier, die „vielgenannte und allseits als faktisch existierend ange-
nommene charta bombycina" nie gegeben hat, und daf die Erzeugung von Hadern-
oder Lumpenpapier nicht erst im 14. Jahrhundert von den Deutschen oder nach anderer
Angabe im 11.—13. Jahrhundert von einer anderen Kulturnation erfunden wurde,
sondern daf) die Papierfabrikation im Abendlande in unmittelbarem Zusammenhange
mit jener des Ostens steht, von wo sie ihren Ursprung genommen hat.
China gebührt der Ruhm, den Schreibstoff der Neuzeit in einer dem Beginne
unserer Zeitrechnung recht nahen Periode erfunden zu haben, denn die bis heute be-
kannten ältesten chinesischen (ostturkestanischen) Papiere reichen bis in das 4. Jahr-
hundert n. Chr. G. zurück.?) Der Rohstoff, der dort zuallererst in Verwendung kam,
waren Bastfasern, aus der Rinde verschiedener dikotyler Pflanzen, vorzüglich des Maul-
beerbaumes, gewonnen, die auf mechanischem Wege unter Benutzung eines aus Gips
erzeugten Schreibgrundes und von Gelatine, später auch schon Stärke behufs Leimung
zu Papiermasse umgewandelt wurden. Aber auch der nächste Fortschritt, die Erzeugung
von Hadernpapier, ist, wie nunmehr erwiesen ist, nicht dem Erfindungsgeist der Araber
zuzuschreiben, vielmehr war auch diese Papierbereitung den Chinesen schon im 4. Jahr-
hundert, wenn nicht schon früher bekannt. Allerdings bildete die Hadernmasse bei der
chinesischen Papierfabrikation einen nebensächlichen Bestandteil, ein Surrogat, der
Hauptstoff blieb die Pflanzenfaser.
Jahrhundertelang geübt blieb die Herstellung des Papiers ein wohlbewahrtes
Geheimnis der Chinesen, bis chinesische Kriegsgefangene, die im J. 751 in die Gewalt
des Kalifen gefallen waren, zu Samarkand unter staatlicher Aufsicht dieses Gewerbe
in der Fremde auszuüben begannen. Damit war der Anfang getan zur Verbreitung der
Papierfabrikation über die ganze Welt. Die Araber besaßen jedoch in ihren Ländern
nicht jene Pflanzenarten, die den Chinesen als Rohstoffe dienten, und kamen daher zu
der epochalen Neuerung, das bisherige Surrogat, Hadern und Lumpen aus unbrauchbar _
gewordenen Kleiderresten, Tauen, Netzen und anderen Geweben, in der Papiererzeu-
gung ausschließlich oder fast ausschließlich zu verwenden. Das gelang ihnen haupt-
sächlich durch ein rationelles Stampfverfahren und durch die Anwendung der Stärke-
leimung, um das Papier fester zu machen. Schon am Ende des 8. Jahrhunderts (794 o.
795) entstand in Bagdad eine Reichspapierfabrik, deren Erzeugnisse die Konkurrenz
mit dem chinesischen Papier aufnehmen konnten. Mit der Ausdehnung des arabischen
Weltreiches verbreitete sich die Papiererzeugung nach Syrien, Ägypten, Nordafrika -
und Spanien, wo Papier zwar schon um die Mitte des 9. Jahrhunderts bekannt war, die
erste Fabrik aber erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts zu Jativa (h. San Felipi
in Valencia) genannt erscheint.) Neben dem hier erzeugten hatte das Papier von
1) Die hier in Betracht kommenden grundlegenden Arbeiten sind: 1. J. KARABACEK, Das
arabische Papier. Eine historisch-antiquarische Untersuchung, in M. Pap. Erzh. Rainer, II—III
(1887), 87—178. 2. J. WiesNER, Die Faijumer und Uschmuneiner Papiere. Eine naturwissen-
schaftliche . . . Untersuchung, ebenda S. 179—260 (selbständig u. d. T.: Die mikroskopische Unter-
suchung des Papieres mit bes. Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere.
Wien, Staatsdruckerei, 1887). 3. J. WIESNER, Mikroskopische Untersuchung alter ostturkestanischer
und anderer asiatischer Papiere, in Denkschriften Wien. Ak.-math.-naturwiss. Cl. Bd. 72 (1902),
083—032. 4. J. WiESNER, Ein neuer Beitrag z. Geschichte des Papieres, SB. Wien. Ak. Bd. 148
(1903/4), 6. Abhandlung.
2) Uber die Erfindung des Papiers bei den Chinesen angeblich durch den Staatsmann Ts’ai
Lun im J. 105 n. Chr. G. nach einer chinesischen Chronik vgl. F. Hirn, Chinesische Studien I (1890),
266. 3) Vgl. M. Pap. Erzh. Rainer III—IV, 126.
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