Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

   
  
  
20 B. Bretholz: Lateinische Paläographie, 
und Eschatokoll, die besonders in der Urkundenlehre technische Ausdrücke geworden 
sind, von der Papyrusrolle her, bei der das erste und das letzte Blatt diese Namen 
führten. 
So enge verknüpft war die Rollenform mit dem antiken Buchwesen, daß selbst 
die Umwälzung, die durch die Einführung des neuen Beschreibstoffes Pergament 
eintrat, hierin zunächst eine Änderung hervorzurufen nicht imstande war. Allerdings 
berühren wir damit eine in der letzten Zeit öfters erörterte wichtige Frage aus dem an- 
tiken Buchwesen: wann und wie erfolgte der Übergang von Rolle zu Kodex?!) 
Die Fille, in denen sich gefaltete Papyrusblätter in vorchristlicher Zeit bisher 
nachweisen liefen, sind zu vereinzelt und zu unsicher, als daß man daraus den Schluß 
ziehen könnte, daß auch schon in der Herrschaftszeit des Papyrus die Kodex- neben 
der Rollenform in Übung gewesen sei; vom Papyrus aus konnte die eigentliche Buch- 
form wohl kaum ihren Ursprung nehmen. Aber auch die zweite wie früher so noch heute 
vertretene Anschauung?), wonach die Anwendung der Membrane an Stelle des Papyrus, 
die doch wohl in der pergamenischen Bibliothek zum erstenmal in größerem Maßstabe 
erfolgt sein dürfte, unmittelbar die Kodexform nach sich gezogen habe, stößt auf Schwie- 
rigkeiten. Es scheint vielmehr, daß die pergamenischen Bücher sich nur in bezug auf 
den Beschreibstoff, nicht aber durch die Form von den ptolemäischen unterschieden 
haben, und daß die für das ganze Schriftwesen so epochale Wandlung von Rolle zu 
Kodex nicht von Griechenland ausging und überhaupt nicht als eine Erfindung im 
eigentlichen Sinne des Wortes anzusehen ist; vielmehr war es eine ganz allmähliche 
Entwicklung, die auf römischem Boden im ersten nachchristlichen Jahrhundert zum 
erstenmal klarer und bestimmter hervortritt. 
Cicero und Horaz sprechen zwar von , membrana‘ als iiblichem Beschreibstoffe?), 
aber es fehlt hier jede nähere Beziehung auf die Form. Pergament in Kodexform ist 
erst sicher bei jenen Zitaten vorauszusetzen, in denen Martial (40— c. 104) Editionen 
von Homer, Vergil, Cicero u. a. als pugillares membranei oder membrana schlechtweg : 
bezeichnet.) Nur galt im 1.Jahrhundert Pergament für literarische Erzeugnisse noch 
für ungewöhnlich, vielleicht auch für zu kostbar. Im 2. Jahrhundert mehren sich dann 
die Zeugnisse für den Bestand und die allgemeinere Verwendung der noch immer in 
einem gewissen Gegensatz zu codex, dem Holz- und Wachstafelbuch, stehenden mem- 
branae, d. i. Pergamentbuch5), und vorzüglich für Quellen juridischen Inhalts ist die 
neue Buchform beliebt. Der Vorzug der Kodexform stand wohl aufer Frage, nur die 
Beschaffung des kostspieligeren Stoffes mag noch einige Schwierigkeiten verursacht 
haben. Das führte denn notwendig dazu, die neue Form auch für den zumeist in größeren 
Mengen vorhandenen billigen Papyrus in Betracht zu ziehen und neben dem Perga- 
mentbuch das Papyrusbuch einzurichten.®) 
Spätestens im 3. Jahrhundert bedient man sich für literarische Werke neben- 
einander: der Papyrusrolle und der Pergamentrolle, des Pergamentbuches und des 
Papyrusbuches, und in dieser Aufeinanderfolge scheint sich historisch der Werdegang 
der Buchform überhaupt vollzogen haben. Dafür spricht vor allem eine Stelle bei 
1) Zu der in der Einleitung angeführten allgemeinen Literatur vgl. nunmehr noch G. A. 
GERHARD in N. Heidelberger Jbb. XII, 142 ff. 2) Vgl. F. Brass in I. MürrERs Handbuch S. 336. 
3) Vgl. DzrAvZKo, Untersuchungen S. 130. — Eine Zusammenstellung der , Codices chartacei 
latini“ bot TRAUBE in B É Ch. LXIV (1903), 455—459 (nicht wie Vorlesungen und Abhandlungen 
IL, 89 zu lesen ist: p. 6—11). 
4) Über diese für die Geschichte des Kodex wichtigsten Stellen handeln ausführlich: BrRT 
S. 71ff., DzraTzKO, S. 134ff. und GErEARD, S. 142. 
5) Vgl. die bedeutsame Stelle bei GArvs (110—180), Dig. IT, 13, 10, $ 1: . . . non totum cuique 
codicem rationum totasque membranas inspiciendi describendique potestas fiat . . . 
6) Vgl. Dzrarzko, Untersuchungen S. 143. 
   
     
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