Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

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Erster Hauptabschn.: Schriftwesen. Drittes Kap.: Verbreit. u. Aufbewahr. d. Schriftwerke. 27 
Mannigfaltigkeit der Schreibarbeit im Altertum und Mittelalter erinnern noch die ver- 
schiedenartigen Bezeichnungen, die für den Schreiber in Anwendung gekommen sind, 
später aber ineinander flossen und sich identifizierten. Neben dem allgemeineren scriba 
und scriptor findet sich librarius, notarius, tabellio, antiquarius, chartularius u. a. m., 
die ursprünglich ihre spezifische Nebenbedeutung hatten; so war der notarius der der 
Noten-, d. h. der Kürzungsschrift Kundige, mit librarius bezeichnete man wohl in erster 
Linieden Bücherschreiber, antiquarius scheint ursprünglich eine Beziehung zu alten Hand- 
schriften, die der Schrift oder des Inhaltes wegen Schwierigkeiten boten, gehabt zu haben.?) 
In rómischer Zeit unterscheidet man für die Zwecke der Buchverbreitung zwischen 
den Privatexemplaren, die man sich selber abschrieb oder die sich vermógende Leute 
von ihren Sklaven, die ihnen neben anderen Diensten auch das Abschreiben von Büchern 
für ihre Bibliothek besorgten, anfertigen lieBen, und den buchhàndlerischen, die káuf- 
lich und óffentlich zu erwerben waren. 
Der Buchhandel scheint allerdings nicht vor der Kaiserzeit in Rom geschäfts- 
mäßige Formen angenommen zu haben, denn noch Cicero klagt über die Schwierig- 
keiten, sich korrekte Exemplare lateinischer Autoren zu verschaffen.?) Wahrscheinlich 
war es der römische Ritter und Geldmann Atticus, Cieeros Freund und literarischer 
Berater, der nach athenischem Muster den Buchhandel in Rom begründete, und dieser 
nahm hier alsbald einen solchen Aufschwung, daß für das frühere Mittelalter Rom der 
wichtigste Büchermarkt wurde. Die römischen Buchhändler, die sich zum Teil aus 
dem Kreise der Freigelassenen rekrutierten, und von denen eine Anzahl mit Namen 
bekannt ist, heiBen bibliographi, bibliopolae, librarii, welch letztere Bezeichnung noch 
deutlich den Zusammenhang zwischen Buchhändler und Buchschreiber erkennen 
là8t. Ihre Niederlagen, die in den verkehrsreichsten Stadtteilen verbreitet waren, 
hießen, wie die Werkstätten der tabelliones oder der librarii, also der Urkunden- 
und Bücherschreiber, statio, dann auch officina, taberna libraria; vom ersteren Aus- 
druck bildete sich die im Mittelalter und bis in die neueste Zeit in England übliche 
Bezeichnung stationarii, stationer für Buchhändler und buchgewerbliche Geschäfte. 
Die römischen bibliopolae besorgten die Verbreitung der Schriftwerke lebender Autoren, 
aber auch die Neuherausgabe alter Texte, die vergriffen oder durch zahlreiche Ab- 
schriften verderbt waren; und insbesondere diese „libri summae atque reverendae 
vetustatis“ spielten wegen der zuverlässigeren Textesüberlieferung im römischen Buch- 
handel eine wichtige Rolle. Die Herstellung von Abschriften geschah wohl zumeist 
durch Diktieren, da nur auf diese Weise eine „Auflage“ rasch und gleichmäßig 
zu bewerkstelligen war.) Der Vollendung der Abschrift durch die „servi litterati“ 
folgte aber, wenn auch nicht regelmäßig, so doch dort, wo auf Herausgabe korrekter 
Texte Gewicht gelegt wurde, die Verbesserung: Oft werden wohl die Schreiber selbst 
sich auch dieser Arbeit unterzogen haben, zumeist fiel sie aber schon in das Gebiet 
des einzelnen Bücherfreundes, der mit Zuhilfenahme besserer und älterer Exemplare 
das „emendare, adnotare, notas adicere“ durchführte, wofür die wichtigen Subskrip- 
tionen in manchen Handschriften Zeugnis abgeben.“) 
1) Vgl. neben WATTENBACH, Schriftwesen S. 419ff. und PAOLI-LOHMEYER II, 178ff. auch 
DzrATzkO in PAUuLY-Wissowas Real-Enzyklopüdie IIL 969 und Thesaurus ling. lat. s. v. 
2) Vgl. DzrATZ&O, Art. ,Buchhandel" in PAvLY-Wissowas Real-Enzyklopädie III, 973ff.; 
MARQUARDT, Das Privatleben der Römer II, 806. 
3) Im Edikt Diocletians vom Jahre 301 (CIL. III, S. 831) sind auch die Lóhne angegeben, 
die die Schreiber für gewisse Arbeiten erhielten; z. B. für die ersten hundert Zeilen bester Schrift 
25 Denare (= ca. 45 Pfennige); s. DzrATZKO a. a. O. Daß die Herstellung gróBerer Auflagen durch 
Diktat nur eine ,herkómmliche" nicht beweisbare Meinung sei, betont W. WEINBEEGER, Z. f. 
Osterr. Gymn., 1908, S. 579. 
4) Vgl. über Subskriptionen neben WATTENBACH, Sehriftwesen S. 324, jetzt TRAUBE, 
Vorl u. Abh. II, 124, und insbesondere R. BEER in Monum. Palaeogr. Vindobon. S. Off. 
  
  
  
 
	        
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