92 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Krönung die entscheidende Bedeutung beigelegt. Das persönliche Interesse der be-
teiligten Persönlichkeiten sprach dabei mit. Als das Krönungsrecht des Kölner Erz-
bischofs feststand, wurde von Kölner Seite die Krönung für den Übergang der Re-
gierungsgewalt betont. Dagegen wurde von Mainzer Seite auf den Wahlakt das
Schwergewicht gelegt, sobald der Vorrang des Mainzer Erzbischofs bei der Wahl
anerkannt war.
In weiten Kreisen, namentlich bei der Geistlichkeit, herrschte die Auffassung
vor, daß zur Erlangung des Vollkönigtums der Wahlakt allein noch nicht genüge,
daß erst die Krönung noch hinzukommen müsse. Daher ist der ungesalbte Heinrich 1.
für kirchliche Kreise das ensis sine capulo.
In den Rahmen der spüteren Krónungsfeiern waren sowohl kirchliche (so
Salbung, Krónung) wie weltliehe (so Thronerhebung, Insignienübergabe) Einzelakte
eingespanut. Bei der Krónung Ottos I. 936 gingen noch die beiden Investiturakte
nebeneinander her, giug die weltliche Investitur der kirchlichen Krónungsfeier un-
mittelbar voraus.
Und auch darüber gab es zunüchst keine feste Regel, wer die einzelnen Akte
des Thronfolgegeschäfts zu vollziehen habe, welche Kreise an der Wahl und an der
Krónung teilzunehmen hátten, welche Vorreehte diese oder jene Gruppe, dieser oder
jener Kirehen- oder Laienfürst vor anderen voraushaben sollte. Alles das war zu-
nüchst flüssig; es gab keine feste Normen über den Kreis und die Zusammensetzung
der Wähler, über das Recht zum Vollzug der Krönung.
Dıeser Mangel war die Folge davon, daß ein geschriebenes Reichsrecht gänz-
lich fehlte, daß aber das Gewohnheitsrecht, das zunächst die einzige Rechtsquelle
für derartige Fragen war, subjektiven Einflüssen, der Nachwirkung einzelner Präze-
denzfälle, nur allzu zugängig war. So waren die Vorgänge bei der Königswahl jahr-
hundertelang im Flusse, in steter Fort- und Umbildung begriffen. Erst durch die —
freilich nur einen privaten Charakter tragenden — Rechtsbücher des 13. Jhs., sodann
durch das Finden von einzelnen Weistümern, schließlich dann durch das Grund-
gesetz der Goldenen Bulle wurden diesen starken Wandluugen Grenzen gezogen und
ein dauerndes Reichsrecht hinsichtlich der Thronfolge geschaffen.
a) Erbkónigtum und Wahlprinzip.
G. Purrurps, Die deutsche Kónigswahl bis zur Goldenen Bulle. SB. Wiener Ak. 1857. Separat-
ausg. 1858 (vgl. Besprechung von G. Warrz in Gótt. Gel. Anz. 1859 Nr. 980). L. WEtLAND, Über die
deutschen Kónigswahlen im 12. und 13. Jh. FDG. Bd. 20. 1880. W. MAURENBRECHER, Geschichte der
deutschen Kónigswahlen vom 10. bis zur Mitte des 13. Jhs., 1889. Frh. v. DUNGERN, Thronfolgerecht
u. Blutsverwandtschaft der deutschen Kaiser seit Karl d. Gr.*, 1910. Derselbe, War Deutschland
ein Wahlreich? (Festschrift Wach) 1913. Jon. KRÜGER, Grundsätze u. Anschauungen bei den Erhe-
bungen der deutschen Könige 911—1056 (Gierkes Untersuchungen 110) 1911. BRUNNER, Grund-
züge ', §16. HEUSLER, Vig., S. 188f. ScHRODER, Rg. 1° 8S. 5111.
Das alte Wahlrecht der Germanen, das sie ermächtigte, sich Führer, Fürsten
und Könige selbst zu erwählen, war schon frühe eingeschränkt dadurch, daß man eine
stirps regia anerkannte, ein Königsgeschlecht, dessen Glieder ein Vorzugsrecht hatten
auf die höchste Staatsstelle. Man wählte im königlichen Geschlecht, und man wählte
den Nächstberechtigten, wenn er tüchtig und regierungsfähig war. Man hat diese Form,
in der Erbrecht und Volkswahl einen Bund eingingen, Erbwahl genannt. Unter den
Merowingern hatte das Erbprinzip über das Wahlprinzip gesiegt, zur Zeit der Karo-
linger war das Erbrecht ebenfalls im Übergewicht. Aber die unter Pippin wieder auf-
gekommene Wahl hatte sich im Bewußtsein der Großen erhalten und war zuzeiten,
besonders bei zweifelhaftem Erbfall, wie bei Arnulf, und auch sonst als Anerkennung
oder ausdrückliche Zustimmung, wie bei Ludwig dem Kind, wieder aufgelebt.!)
1) v. DuxaERN, War Deutschland ein Wahlreich? Festschrift f. A. Wach 1913.