104 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Als hauptsächlichste Pflichten des Königs werden von den Schriftstellern her-
vorgehoben, daß er Gerechtigkeit übe, Gnade walten lasse, Fıieden und Eintracht
bewahre und die Schwachen und Armen (Witwen und Waisen) sowie die Kirche und
die Geistlichkeit beschütze. Für sein Verhältnis zur Kirche ist in der zweiten Hälfte
des 11. Jhs. der bildliche Vergleich geprägt worden von den zwei Schwertern, dem
weltlichen und dem geistlichen Schwert, die Christus auf Erden gestiftet habe. Bei
der Salbung und Krönung legt der König auf die Rechte und Pflichten, die ihm der
Erzbischof nennt, und zu denen auch das Versprechen gehörte, den rechten Glauben
zu bewahren, zwar nicht einen förmlichen Eid, aber ein Gelöbnis ab.
Dem Könige wird umgekehrt von den Fürsten und Großen der Eid der Treue
geleistet. Jedoch ıst dieser Treueid nicht von allen, die ein bestimmtes Lebensalter
erreichten, verlangt worden, wie einst unter Karl d. Gr., auch nahm ihn 1icht not-
wendig der König persönlich ab, sondern er konnte auch zur Entgegennahme Abge-
ordnete schicken. Der Eid ist das Band, das König und Volk miteinander verbindet.
Wer die Treue gegen den König bricht, gilt als Eidbrecher; er macht sich eines Ma-
jestätsverbrechens schuldig. Andererseits kommt im 11. Jh. die Auffassung auf, daß
ein König, der nicht Gerechtigkeit übe und seine Versprechungen nicht halte, sein
dem Volk gegebenes Versprechen verletzt habe. Es gilt als Vertragsbruch, der die
königliche Gewalt lahmlegt. Es wird nämlich die weitere Folgerung daraus gezogen,
daß in diesem Falle auch das Volk nicht mehr zur Treue gegen den König verpflichtet
sei.!) Hier setzt dann wiederum das Papsttum cin, indem Gregor VIT. sich das Recht
zuschreibt, das Volk von dem Eide zu entbinden, wenn er den Kónig für unwürdig
und regierungsunfáhig hült. Beide Auffassungen, die der Fürstenopposition und die
des Papstes, sind nicht ganz dieselben, aber sie begegnen sich und führen zu demselben
Ziele; beide haben von der kaiserlichen Partei heftigen Wideispruch erfahren. Denn
die Mógliehkeit, daB die Eide unverbindlich werden kónnen, führt direkt zu der F'or-
derung, den Känig abzusetzen?), — ohne verbrecherische Empörung, sondern auf dem
Wege des Rechtes. Erst unter Heinrich IV. sind diese Fragea wiederholt erwogen
worden; aber es ist nicht vôllig klar aus den Quellen ersichtlich, ob die Fürsten zu
Forchheim zu einer förmlichen Absetzung Heinrichs IV. geschritten sind.?) Sie fol-
1) Lampert von Hersfeld a. 1073; Manegold, liber ad Gebehardum c. 30; in Lib. de lite I, 365.
Vgl. BEzorp, Lehre von der Volkssouveránitát des MA. HZ. 36, S. 322f. (jetzt auch in Bezolds
Sammlung „Aus MA. u. Renaissance‘); Warrz, Rg. 6?, S. 498f. G. Kocn, Manegold von Lauten-
bach und die Lehre von der Volkssouveráünitüt (Eberings hist. Studien 34), 1902. — Es machen sich
jedoch auch entschiedene Stimmen gegen diese Auffassung von der Auihebung der Eide gegenübor
einem ungerechten Konig geltend, so Wenrich c. 4 in Lib. de lite I, 289. Néheres bei MirsT, Publi-
zistik, S. 550.
2) Als Pippin Kónig wurde, bestritt ihm niemand das Recht, den schwachen Merowinger zu
beseitigen; als Arnulf zum König erhoben wurde im Gegensatz zu Karl IIL., hat man letzteren nicht
besonders entsetzt; eine Absetzung schien wohl bei seiner Bedeutungslosigkeit als unnótig. Die baye-
rische Opposition gegen Heinrich IIT., die den Herzog Konrad erheben wollte, war eine Empörung.
3) Der Chronist Berthold spricht von einer Absetzung. MG. SS. 5, 292 ad a. 1077: et quia
papa, ne ut regi ohoedirent aut servirent, ipsis tam [hesser iam] interdixerit, regni dignitate privabant,
neque regis saltem nomine dignum ob inaudita ipsius millefaria flagitia adiudicabant. Dem wird die
Stelle bci Bruno c. 108, MG. S8. 5, 371 entgegengehalten: cum iam ultra anni terminum sine rec-
torem essemus, in jocum, de quo praevaricatus est ille, alius principum nostrorum, electione subro-
gatus est. Heinrich 1V. selbst hat später, als er durch die Fürsten seinen Sohn, Kónig Konrad, ab-
setzen ließ, offenbar die Ansicht gehabt, da den Fürsten ein Absetzungsreeht ,ustehe. Gegen eine
Absetzung seitens der Fürsten zu Forchheim haben sich ausgesprochen: Froro, Heinrich IV., 1,
144f., GresEBRECHT, Kaiserzeit 3, 439. Fiir eine Absetzung: Gusa, Reichstag S. 95, OnLy, Konig-
tum Heinrichs IV. Lemgo Progr. 8. 33. Die Auffassung, daB keine Absetzung 1077 durch die Fürsten
erfolgt sci, basiert auf der Vorstellung, daß eine solche Ahsetzung schon im Jahre vorher (1076) der
Papst ausgesprochen habe. Dieser Ansicht sind MAURENBRECHER, Kônigswahlen S. 111; DEEHNICKE,
Maßnahmen Gregors gegen Heinrich, S. 17; DoznzERL, Rechtfertigungsschreiben Gregors, im Fest-
gruB an die Philologenversammlung zu München, S. 58f.; auch mit einer Einschränkung SEEILIGFR,
in Warrz, Vfg. 6?, S. 499 Anm. 1. Dagegen halten andere den Ausspruch Gregors 1076 für nur eine