122 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
halb in Thüringen ein Übergewicht über andere Grafen gewinnen konnte, weil dort
kein Herzog existierte.
Von den großen territorialen Grafschaften und den Landgrafschaften abgesehen,
gibt es jetzt nur Kleingrafen, die einen größeren oder kleineren Gerichtsbezirk als ihr
Lehen besitzen. Oft sind diese Grafenlehen so klein, daß ein angesehener Großer sich
eine ganze Anzahl solcher Kleingrafschaften übertragen läßt. |
Immer mehr wird es Sitte, daß die Grafen sich nach der Burg, in der sie residie-
ren, nennen. So entstehen die Familiennamen zahlreicher Grafengeschlechter. Eine
solche Burg ist dann der Mittelpunkt ihres Geriehtsbezirkes.
c) Der Grafentitel. Zu unterscheiden davon sind die Burggrafen. Diese Bezeich-
nung ist nur ein Titel.!) Sie steht auf gleicher Linie mit anderen aufkommenden Gra-
fentiteln wie Deichgraf, Holzgraf, Waldgraf, Stallgraf. Ein eigentliches Grafenamt
liegt diesen Titulaturen nicht zugrunde. Auch der comes auf Reichsgut, der eigentlich
ein Vogt des Reiches ist, gehôrt hierhin.
d) Der Markgraf. Fine besondere Art von Grafen waren schon in der Karolinger-
zeit die Markgrafen; sie waren mit größerer Macht ausgestattet, da ihnen der mili-
tärische Schutz eines Grenzgebietes anvertraut war. Mitunter gelangen auf Grund die-
ser bevorzugten Stellung die Markgrafen auch in dem Stammgebiet, dem ihre Mark vor-
gelagert ist, zu überragendem Ansehen und so zur Ausbildung eines Stammesherzog-
tums. So ist die bayerische Markgrafschaft im bayerischen Stammesherzogtum aufge-
gangen und die rätischen Markgrafen, die Burcharde, haben nach wiederholten An-
strengungen und Zurückweisungen doch zuletzt das schwäbische Stammesherzogtum
begründet. Andere karolingische Marken sind in der Zeit des Niederganges der Karo-
linger wieder eingegangen und an die benachbarten Feinde verloren worden.
Erst mit Heinrich I. und Otto I. setzt eine neue Periode der Gründung starker
Markgrafschaften ein, und zwar zunächst zum Schutze Sachsens. Heinrich I. hat die
dänische Mark errichtet, Otto I. hat an der sächsischen Ostgrenze gegen die Slawen
den Markgrafen Gero eingesetzt, nach dessen Tode sein ausgedehntes Markengebiet in
mehrere Marken, zeitweise sechs, zerlegt wurde, aus denen schlieflich drei übrigblieben:
die Mark Meißen, die Lausitzer Mark oder Ostmark und die Nordmark. Dann wurde
mit einem Markensystem zum Schutze Bayerns begonnen. Otto I. hat da, wo früher
die karolingische Mark Friaul bestanden hatte, eine Mark Aquileia und eine Mark
Verona ausgeschieden; unter Otto IT. erscheint eine Mark Krain, dann wird östlich
vor das Herzogtum Kärnten noch eine kürntnische Mark gelegt, die später Steiermark
genannt wurde. Jenseits der Enns wurde das ,,Osterriche* als Mark zum Schutz gegen
die Ungarn errichtet, und auch gegen die Böhmen wurde zum Schutze Bayerns eine
Mark vorgelagert.
War auf diese Weise unter den Ottonen die ganze Ostgrenze des Reiches von der
unteren Elbe bis zum Adriatischen Meere durch einen geschlossenen Markengürtel ge-
sichert worden, so ist das nicht in gleicher Weise im Westen geschehen. Hier und da
ist zwar die Mark vorhanden, wie die friesische Mark und die Mark Antwerpen; im
allgemeinen aber war in dieser Zeit die Bezeichnung Markgraf hier ein Titel, der auf
eine frither vorhandene oder frither im Besitz der Familie gewesene Mark zuriickging,
aber nicht mehr tatsächlichen Markgrafschaften entsprach.
Der Markgraf war gewöhnlich auch Graf in einem Grenzgau. In seiner Mark-
grafschaft hat er die Grafenrechte, besonders die Gerichtsbarkeit als ein vom König
abgeleitetes Recht. Aber er ist selbständiger gestellt. Er hat vor allem eine selbstän-
1) Vgl. A. MEISTER, Burggrafenamt oder Burggrafentitel. HJb. 1906. Da die Stellung des
.Burggrafen' auf militárischer Grundlage beruht, so kommen wir später unter Kriegswesen ein-
gehend darauf zurück.