124 Aloys Meister: Deutsche Verfassungageschichte des Mittelalters usw.
Bisher hatten noch dieselben Gruppen voir Personen zum Hochadel, zum Für-
stenstand des MA., gehórt wie in der Karolingetz eit. Es waren die Großen des Reichs,
die in hervorragender Stellung sich befanden, von den Geistlichen die Bischöfe,
die Ähte und Äbtissinnen der Reichsklöster, von den Laien die Herzöge, Markgrafen,
Pfalzgrafen, Landgrafen und Grafen. Es war gleichgültig, ob sie nur dem König
unterstanden oder einem anderen Fürsten unterstellt waren. Gegen Ende des 12. Jhs.
aber scheiden die Grafen aus dem Fiirstensdande aus.
Die von Jurrus FrckER begründete herrsehende Lehre sieht darin ein sieg-
reiches Vordringen des Lehnsgedankens. Die folgerichtige Weiterentwicklung des
Lehnsrechts driickte diejenigen auf eine nieders Stufe, die von einem der Ihrigen ein
Lehen nahmen. So wurden die Grafen hinausgedrüngt, und nur diejenigen blieben
im Reichsfürstenstand, die ein unmittelbares Roiehslehen besaBen. Man hatte rich-
tig erkannt, daB die lehnsrechtliche Beurteilung dor Fürsten seit Friedrich I. große
Fortschritte gemacht hatte, da jetzt auch die geistlichen Fürsten unter lehnsrecht-
lichem Gesichtswinkel einbegriffen wurden. Friedrich I. hatte es erreicht, daß die
Bischófe in den Reiehslehnsverband eingegliedert wurden. Aus Reichsbeamten waren
sie Reiehsvassallen geworden. Beim Sturz Heinrichs des Löwen waren sodann ver-
schiedene bayerische und sächsische Fürsten, die bisher dem Herzog unterstanden
hatten, reichsunmittelbar, Reichslehnsträger geworden. Vou diesen reichsunmittel-
baren Fürsten schieden sich immer schärfer diejenigen, die ihr Lehen von anderen
weltlichen Fürsten erhielten. So war richtig erkannt ‘worden, daß damals die Mehr-
zahl der Grafen aus dem Reichsfürstenstand verschu‘and. Vorausgesetzt ist dabei
ein Reichsfürstenstand auf lehnsrechtlicher Basis. Es blieben nur einige Grafen darin,
wie der Graf von Anhalt, der ein direktes Fahulehen hai5te. Die Scheidung ist jedoch
weder eine plótzliche noch eine reichsgesetzliche, sie isi zunüchst flieBend und auch
nicht konsequent ; denn als mit dem Untergang der Stauter das Herzogtum Schwaben
erlosch, sind durchaus nieht deren bisherige Aftervassallon, die nunmehr uumittelbar
unter das Reich kamen, dadurch Reichsfürsten gewordon.
Diese letztere Feststellung hütte miBtrauiseh michen sollen. Statt dessen
wurde FrckERs Theorie nur weiter ausgebaut uud somit gestützt dureh ein sehürferes
Herausarbeiten der Begriffe des Amtsfürsten und des Ruichslehnsfürsten.
Die heute noch allgemein geltende Auffassung erkenni: im ülteren Reichsfürsten-
stande eine amtsrechtliche Grundlage. Das Grafenamt ist (die Voraussetzung für die
Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand. Dabei ist es einerlel, ob der Graf noch einen
Herrn über sich hat, etwa einem Herzog untergeordnet ist‘ oder nicht. Auf amts-
rechtlicher Grundlage waren alle Grafen Fürsten.
Dieser amtsrechtliche Charakter des älteren Reichsfürsttenstandes soll nun ver-
drängt worden sein durch den lehnsrechtlichen Charakter des neuen Reichsfürsteu-
standes. Das Lehnsreeht brachte die Lehnsfürsten. Das Symbol, das bei der Belehnung
verwandt wurde, schied sie äußerlich in die weltlichen Fürsten mit Fahnlehen und die
geistlichen mit Zepterlehen.!) Nur das direkt aus der Hand dos Kónigs empfangene
Zepterlehen oder Fahnlehen machte seinen Inhaber zum Reichsfürsten lehnsrecht-
lichen Charakters. Es gab demnach keinen geistlichen Reichsfün:ten ohne Zepterlehen
und keinen weltlichen Reichsfiirsten ohne Fahnlehen.
Deshalb machte man auch bei Brüdern und Sóhnen von welilichen Reiehstürsten
die zutreffende Unterscheidung zwischen Reichsfiirsten und schlichten Fürsten und
1) Im weiteren Sinne nennt der Sachsenspiegel gelegentlich auch dle geistlichen Fürsten-
tümer Fahnlehen; aber daraus ist nicht zu schließen, daß das geistliche Fürskentum ein spezifisches
Fahnlehen ist, wie HEck es darstellt aaO. S. 623. Bezüglich des geistlichen Fürstentums vgl.
WERMINGHOFF in diesem GrundriB? $ 26 S. 67 ff.