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Einleitung
Der Gesamtwile des Volkes kommt zum Ausdruck in der Volksversammlung.
Den Begriff Herrscher kennt der germanische Urstaat nicht; Trägerin der Souveràni-
tät ist die Volksgemeinde.
Nur im Kriege hat der Heerführer — in Staaten mit einem König ist es dieser,
in solehen unter einer Mehrheit von Fürsten ein von diesen gewählter dux — eine wirk-
liche Befehlsgewalt über die freien wehrhaften Volksgenossen. Alle Freien, soweit
sie in der Volksversammlung als tauglich befunden und waffenfähig erklärt waren,
bildeten das Heer. Das altgermanische Militärwesen beruhte auf der allgemeinen
Militärpflicht.
Auch dem Gerichtswesen lag die allgemeine Pflicht, für Aufrechterhaltung von
Recht und Ordnung zu sorgen, zugrunde. Aber nur, wenn die Ehre und Würde des Staats-
ganzen verletzt war, richtete die Gesamtheit des Volkes; bei einer Rechtsverletzung
in kleinem Kreise genügte eine kleinere Gerichtsgemeinde. Sie wurde gebildet durch
die Siedelungsgemeinschaft.
Alles in allem genommen zeigen die altgermanischen Verfassungsverháltnisse
den gróften Gegensatz zur antiken Staatsidee. In der Antike, bei den Griechen so-
wohl wie bei den Rómern, umfafite der Staat den ganzen Menschen, das Individuum
ging auf im Staate. Ganz anders bei den Germanen. Alles beruhte hier auf der Frei-
heit der Persönlichkeit. Diese Freiheit wurde noch nicht vom Staate beschränkt. Die
Staatsgewalt kam nur ergänzend zur Geltung; sie hatte ihre Grenzen an den Rechten
des Volkes und an der Freiheit der einzelnen Volksgenossen. Neben der Staatsgewalt,
nicht unter ihr, nicht von ihr beherrscht, lebte der einzelne im Hause und im Kreise
des Geschlechtsverbandes nach der Ordnung des Hausherrn und der Sippe, lebten die
Gemeinden, die Nachbarschaften, Zweckverbände und Friedensgemeinschaften nach
selbstgegebenen Vereinbarungen und Gewohnheiten, vom Staate gewissermaßen nur
,umrahmt‘“ und zusammengehalten.
Vom Staate in unserem modernen Sinne ist noch so wenig zu verspüren, daß
man sich klar bleiben muß, daß unsere heutigen Begriffe ,,Staat'5, ,,Staatsgewalt",
„staatlich“ u. a. eigentlich nicht recht auf diese älteste Zeit passen. Der Staat der
Vorzeit ist noch locker und lückenhaft. Er setzt sich aus Familien zusammen zum
Zwecke des Gemeinwohles in einer größeren Gemeinschaft. Die allgemeine Ordnung
ist zum größeren Teile auf privatem Wege von privaten Verbänden herbeigeführt, zum
geringeren durch die Allgemeinheit garantiert. Der Fortschritt liegt in dem allmäh-
lichen Hinaustreten aus den kleinen Kreisen, in denen die Selbsthilfe waltet, in größere
Gemeinschaftskreise, in dem Übergang von privaten Ordnungen zu allgemeineren,
zu öffentlichen.
1. Die Sippenverfassung.
Wairz, Über die Bedeutung des mundium in: Gesammelte Abhandlungen 1896. 1. Bd.
BRUNNER, Rechtsgesch. I?, 1906, $ 12 u. 13. H. BRUNNER, Sippe und Wergeld in Z. f. Rechtsgesch.
ITI, 1ff. GrERKE, Rechtsgesch. der deutschen Genossenschaft I, S. 892. BERTH. DELBRÜCK, Das
Mutterrecht bei den Indogermanen. PrJbb. 1879, S. 14ff. E. GorHEIN, Beiträge zur Gesch.
der Familie im Gebiete des alemannischen und frünkischen Rechtes, 1897. F. RoEpzn, Die Familie
bei den Angelsachsen, in Studien zur englischen Philologie, 1899. W. WAckERNAGEL, Familienrecht
und Familienleben der Germanen, in Kleine Schriften I, 1, 1872. E. GRossE, Die Formen der Familie
und die Formen der Wirtschaft, 1896. J. FickER, Untersuchungen zur ostgermanischen Erbenfolge.
4 Bde. u. 2 Halbb., 1891—1904. K. LamprECHT, Zur Sozialgeschichte der deutschen Urzeit, 1889.
VINOGRADOFF, Geschlecht und Verwandtschaft im altgermanischen Recht, in ZSozWg. 7, 1899.
S. 11f. Warrz, Vig. I3, S. 53— 96. HEUSLER, Vfg. S. 4f, Frhr. CL. v. SCHWERIN (Grundrif II, 5,
2. Aufl. S. 12311, 126, 1915).
a) Die Hausherrngewalt.
Die Gewalt des Hausherrn ist bei den Germanen schon in der ältesten Zeit sehr
ausgeprägt erkennbar. Wir dürfen daher annehmen, daß sie bei unserem Volke die