136 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
hohe, der centenarius, Schultheiß, die niedere Gerichtsbarkeit. Diese Trennung der
jurisdietio alta und bassa blieb das ganze Mittelalter hindurch. Vor den Inhaber der
hohen Gerichtsbarkeit gehörten die Kriminalfälle, die an Leib und Leben gebüßt wur-
den, Streit über Grundeigentum und Freiheit; vor den niederen Richter dagegen Ver-
gehen, die mit Geldstrafe geahndet wurden. Der niedere Richter wird zunächst, und
zwar anfangs unter Mitwirkung des Volkes, vom Grafen eingesetzt, er ist dessen Be-
amter. Aber es bleibt nieht so, später werden die SchultheiBengerichte auch Lehen
und daher erblich, oder sie gelangen in die Hand eines grofen Grundherrn, werden zu
Patrimonialgerichten und so den Grafen entzogen, und schließlich lassen sich die
Landesherren das Ernennungsrecht erteilen, als sie in der unmittelbaren Besetzung
dieser Niedergerichte ein Mittel zur Ausbildung der Landeshoheit erkannt hatten.
Eine weitere Veranlassung zur Zersplitterung der Gerichtsverfassung war ge-
geben durch die Exemtionen. Hier kommen besonders die Immunitäten in Betracht,
die Hofgerichte, dann aber auch die Sonderstellung des Marktgerichtes und die all-
mähliche Emanzipation des Stadtgerichtes vom Landgericht. Die städtische Juris-
diktion schiebt sich sogar über die Stadtmauern hinaus auf das platte Land.
Und endlich wird das Gerichtswesen erst recht kompliziert durch die fortschrei-
tende Standesgliederung, die wiederum eigene Gerichtskreise schuf; es entstehen, von
den geistlichen Gerichten abgesehen, Lehnsgerichte und Dienstmannengerichte.
l. Das kónigliche Hofgericht.
Am königlichen Hofe existierte keine ständige Gerichtsbehôrde mehr, seit der
Hofpfalzgraf dort verschwunden war. Die Tätigkeit des früheren Hofgerichtes ist also
teils von dem König persönlich übernommen worden, teils ist sie dezentralisiert und
übergegangen an das in jedem Herzogtum errichtete Pfalzgrafenamt. Die Pfalzgrafen
in Italien bewahren noch einen engeren Zusammenhang mit dem persönlichen Gericht
des Königs.!) Der König hatte eine doppelte richterliche Befugnis. Einerseits konnte
er jeden noch nicht erledigten Rechtsfall vor seine Person ziehen, — ius evocandi, —
andererseits legte er das ordentliche Gericht an dem Orte, wo er gerade weilte, lahm und
übernahm selbst die Rechtsprechung. Von dem Evokationsrecht machte der König
jedoch nur selten Gebrauch, gerade weil er keinen ständigen Gerichtshof zur Verfügung
hatte, der solche Streitsachen rasch erledigen konnte, und so war die Gefahr der Ver-
schleppung vorhanden. Die Appellationen und Beschwerden über Rechtsverweige-
rung richtete man lieber an die Pfalzgrafen, die die Entscheidung darüber jedoch nur
so lange behielten, bis die entstehende Landeshoheit der Herzöge ihres Amtsbezirkes
sie an sich zog. So verblieb dem König in der Hauptsache nur die Gepflogenheit,
im Lande zum Zwecke der Rechtsprechung herumzureisen und auf diese Weise mit
dem ordentlichen Gerichte zu konkurrieren und es gleichzeitig zu kontrollieren. Außer-
dem war der König ordentlicher. Richter über die Reichsunmittelbaren, also über
die Fürsten, die Reichsministerialen, die Reichsstädte, und analog dazu gehörten vor sein
persönliches Gericht Klagen über Reichsrechte und über Reichsgut. Der König
zog im Kônigsgericht als Urteilfinder Fürsten und Mitglieder des Herrenstandes heran ;
seit dem 12. Jh. sind Reichsfürsten nur in einem aus Fürsten bestehenden Hofgericht
gerichtet worden. Im übrigen fehlte es an einer festen Organisation des Hofgerichtes.
Da das Hofgericht unmittelbar an die Person des Königs geknüpft war, so war
es außer Tätigkeit, wenn der König entsetzt oder gestorben war. Bei der Thronerledi-
gung ist jedoch mit der Ausbildung des Reichsvikariats des Pfalzgrafen bei Rhein
dessen Hofgericht an die Stelle getreten.*)
1) S. o. S. 120.
2) Uber die weitere Bedeutung des Pfalzgrafen bei Rhein als Richter s. o. S. 120,