156 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
sie abgegeben werden sollten. Darauf erfolgte die Erörterung der Reichslage und der
geeignetsten Kandidatur (tractatus), daran anschließend die Einigung der Wähler
auf einen Kandidaten (vota dirigere, nominare in Romanorum regem eligendum) und
dann die electio — Kur und dazu die laudatio, die Zustimmung der minder Wahl-
berechtigten; sie làuft aus in das Vollwort!), in dem der Umstand seine Übereinstim-
mung mit der Wahl ,,mit gesamtem Munde'* aussprach. Die altgermanische Wurzel
der Wahl durch das Volk macht sich darin geltend, sie ist eine Art Miterwählung
durch die anwesenden Großen.
Dieser Hergang, wie er uns seit 1257 nachweisbar”) ist, stimmt mit den kirchlichen Wahl-
vorgängen überein. Die Abstimmenden nennen hier wie dort nur den zu Wählenden, übertragen
ihr Wahlrecht auf einen aus ihrem Kreise, der dann als Elektor die Wahl vollzieht, und dann treten
sie einzeln der Wahl bei. Der Elektor war also bei solchen Wahlen nur der Verkündiger der Wahl, aber
er wird wohl auch schon vor der Wahl der Sprecher gewesen sein, der bei Designationen den Wunsch
des Vaters des Kandidaten kundgab.?) Es ist nicht nótig, diesen Anschluß an die kirchliche Wahl-
form unbedingt als einen beabsichtigten anzunehmen, den die Kurfürsten vorgenommen hätten, um
die Wahl gegen einen Einspruch des Papstes sicherzustellen‘); er kann auch ganz unbewußt durch
die Einwirkung des kirchlichen Vorbildes, durch den starken Einschlag der Geistlichen im Fürsten-
stande und durch die Bedeutung der rheinischen Erzbischófe bei der Wahl sich vollzogen haben.
Es sind übrigens nicht alle Formen des kirchlichen Wahlwesens übernommen worden, sondern nur
solche, die sich mit der deutschen Entwicklung des Wahlverfahrens vertrugen.
Im 13. Jh. galt bei kirchlichen Wahlen der feste Grundsatz, dab nur die bei der Wahl An-
wesenden Wahlrecht hatten, daf dagegen diejenigen, die geladen, aber nicht erschienen waren, so-
wie diejenigen, die sich früher entfernten, für diesen Fallihr Wahlrecht verloren; sie hatten dann
auch kein Einspruchsrecht gegen die vollzogene Wahl. Diese war also auf jeden Fall einheitlich
und verbindlich. Auch dieser Grundsatz dringt jetzt im 13. Jh. in die deutsche Kónigswahl ein?)
und ist dann auch in der Goldenen Bulle ausgesprochen.
Einhelligkeit war seit jeher Erfordernis der deutschen Kónigswahl. War eine
Majorität für einen Kandidaten erzielt, dann zog sich die Minderheit zurück, und das
schlieBliche Wahlurteil war dadurch zu einem einmütigen geworden. Eine Doppelwahl
konnte daher aus einer gemeinsamen Wahlhandlung gar nicht hervorgehen, denn die Ab-
stimmung drehte sich gar nicht um mehrere Kandidaten, sondern man gab nur die Stim-
men ab auf den einen, auf den man sich geeinigt hatte. Bis 1198 ist es zu keiner Doppel-
wahl gekommen, weil stets die ferngebliebene Minderheit nachtrüglieh den Gewühlten
anerkannt hat. Die Doppelwahlen seit 1198 sind dagegen aus getrennten Lagern ge-
kommen. — Dem Prinzip der Einhelligkeit gegenüber steht die Majoritätswahl, die in
der kanonistischen Wissenschaft vertreten wurde. Die Papstwahl war seit der Dekre-
tale Alexanders IIT. von 1179 eine Majoritátswahlgeworden.9) Es lag daher für Inno-
zenz III. die Analogie sehr nahe, wenn er im Jahre 1203 schon bezüglich der Wahl
Philipps von Schwaben an die Majorität der Fürsten dachte.‘) Für die deutsche Kô-
1) Vgl. E. Meyzr, ZSavRg. 23. S. 48. HUGELMANN S. 151, 156 Anm. Bucuwzn, Kónigs-
wahlen S. 43 f. 7
2) Über die Wahlvorgänge 1246 und 1247 sind wir zu wenig unterrichtet; da sie aber ganz
unter kirchlichem Einfluß standen, werden sie sich auch nach kirchlichem Vorbild vollzogen haben.
Die Bürger von Pisa, die 1246 Alfons von Kastilien wählten, waren in Italien um das kirchliche
Vorbild von Bischofs- und Papstwahlen nicht verlegen; daher auch dort die ähnliche Form.
v. WRETSCHKO aaû. 8.174.
3) Er ist nämlich bei Heinrich V. der proloquens genannt.
4) Ansicht BRESSLAUS: ,,Ein Papst konnte nicht wohl eine Wahl aus formellen Gründen für
ungültig erklären, wenn sie mit Beobachtung derselben Formalitäten vollzogen war, die bei seiner
eigenen Wahl eingehalten worden waren." (aaO. S. 141.)
5) Im einzelnen an den Wahlen 1246/47 und 1257 durch v. WRETSCHKO aaO. S. 180f.
nachgewiesen.
6) Bis dahin galt der Satz der Benediktinerregel (cap. 64) für kirchliche Wahlen, daß sie ein-
hellig sein sollten oder aber der Teil mit besserer Einsicht (pars quamvis parva congregationis sa-
niore consilio) gewühlt haben müsse. Erst nach und nach kommt man dazu, die bessere Einsicht
bei der Majoritàt vorauszusetzen. BRANDI, Erbrecht und Wahlrecht. HZ. 193. 1990. S. 231.
7) intelleximus quod licet major pars principum in electione ipsius ab initio convenisset,
plures tamen ex his, ad quos imperatoris spectat electio convenerunt post modum in... Ottonem.
PorTHAsST, Reg. pont. Nr. 2043.