164 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
mende Patronatsrecht. Er übt die Polizei aus und hat noch andere aus verschiedenen
Quellen fließende Vorrechte. Oft steckt in seinem Herrschaftsgebiet ein alter Villi-
kationsbezirk, wenn seine Vorfahren durch das Ministerialenstadium hindurchgegangen
waren und eine Villikation erhalten hatten, die sie nicht wieder abgegeben haben.
So ist aus ganz verschiedenartigen Bestandteilen diese Dynastenherrschaft er-
wachsen.)
Die Dynasten haben jedoch nur eine besehrünkte Herrschaft. Es fehlt zur
Landesherrlichkeit vor allem die Blutgerichtsbarkeit. Sie sind auf dem Wege zur
Landesherrsehaft stehen geblieben, ohne die hóchste Stufe der Herrschaft zu errei-
chen.?) Ihre Herrschaft hat zwar einen óffentlichen Charakter, insofern sie auch óffent-
liche Funktionen erfüllt, aber es haften ihr noch viele privatrechtliche Zugaben an.
Es hüngt viel von der Persónlichkeit ab, ob der einzelne Dynast mehr Kraut-
junker wird, der sich in dem engen Kreise der eigenen Angelegenheiten Genüge sein
läßt und mehr ein Privatleben führt, oder ob er, von dem Drange beseelt, nach auDen
Macht zu entfalten, sich Geltung verschafft und von seiner Herrschaft nicht nur die
Eingriffe müchtiger Nachbarn abwehrt, sondern noch Rechte und Vorteile hinzu-
erwirbt.
Von diesen Dynastenherrschaften unterscheiden sich die eigentlichen Landes-
herrschaften dadurch, daB ihre Inhaber die Blutgerichtsbarkeit haben. Die Landes-
herrschaften sind von Haus aus Hochgerichtsbezirke. In ihnen leben die Grafschaften
fort, soweit die alte Grafengewalt in Geltung geblieben ist. So hatte sieh die Grafen-
gewalt durch das Lehnswesen hindurch in die Landesherrschaft gerettet. Das Lehns-
wesen mit seiner Erblichkeit hatte das Grafenamt samt dem Grafschaftsbezirk zu
einem Familienbesitz gemacht. Das aber wurde der Ausgang dazu, daß die Graf-
schaft mit der Zeit als eigene Herrschaft der Inhaber betrachtet wurde. Der staat-
liche Charakter, der von Anfang an der Grafschaft innewohnte, wurde durchaus ge-
wahrt, es trat bei diesem Übergang keine Umwandlung in eine Privatherrschaft ein.
Die Frage, welehe Bedeutung dem Grundbesitz bei der Territorialbildung zu-
gefallen ist, hat mehrfach zu eitriger Erórterung geführt. An sich ist die Sache klar:
Grundbesitz ist ein Hilfsmittel zur Bildung einer Territorialherrschaft, nicht die
eigentliche Quelle der Territorialgewalt. Schon in der Merowinger- und Karolinger-
zeit wurden die Grafen aus den Grundbesitzern des Grafschaftsgaus entnommen.
Der Grundbesitz verankerte sie in der Grafschaft. Die grüflicohen Rechte flossen
nieht aus dem Grundeigentum; aber der Güterbesitz gab den Grafen einen Rückhalt
gegenüber den anderen Grundbesitzern und den Grafschaftsinsassen gleichzeitig eine
Garantie gegen Ausbeutung. Grundbesitz ist demnach für die Territorjalbildung
eine geschichtliche Voraussetzung, und er ist oft Ausgang und Mittel zur Geltend-
machung von tatsächlicher Macht. So liefert er bei Erweiterung der Territorien wich-
tige Stützpunkte in geschlossenen Güterkomplexen und Burgen.
Aber das Verhältnis des Landesherrn zu seinem Lande ist nicht das des Grund-
herrn zu seinem Grundeigentum. Territorium ist nicht eine erweiterte Grundherr-
schaft, sondern nach Umfang und Inhalt ein ganz anderes Gebilde. Indessen für die
Territorialbildung ist es wertvoll, Grundbesitz zu erwerben und darauf Burgen zu
1) H. Fzung, Die Entstehung der Landeshoheit im Breisgau. 1904. S. 76: „Mit Herrschaft
wird der ganze Komplex von Besitzungen und Rechten bezeichnet, welche in der Person eines Dy-
nasten zusammentrafen und sich meistens um eine Burg gruppierten.“
2) Trotzdem werden auch sie gelegentlich domini terrae genannt. Im Kälner Dienstrecht
von 1154 kommen domini terrae neben nobiles terrae vor. ALTMANN-BERNHEIM, Ausgewählte Ur-
kunden zur Vfg.“ Nr. 83, 88 3, 7, 8. Vgl. dazu die zutreffenden Bemerkungen von KEUTGEN, Der
deutsche Staat des MA. S. 130f.