186 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Wo keine Bannleihe mehr ist, da hat der Fürst einen wichtigen Schritt zur Aus-
bildung einer eigenen landesherrlichen Gerichtshoheit vollzogen. Die Landesherren,
die jetzt die gesamte Gerichtsgewalt übertragen, lassen vergessen, daß sie das Recht
dazu vom König im Fahnenlehen empfangen haben; sie fangen an, kraft eigenen Rech-
tes die Landrichter einzusetzen. Sie tun das an den alten Dingstühlen, und sie weisen
dem Richter auch den alten Gerichtssprengel zu, wenn nicht besonderer Anlaß eine
Neuabgrenzung des Landgerichtssprengels nötig macht. So sind alte kónigliche Land-
gerichte, Grafengerichte, zu territorialen Landgerichten geworden. :
Aber auch die Grafen, die nicht unter die fürstliche Landeshoheit, etwa eines Her-
zogs geraten, bleiben nicht Reichsbeamten. Sie werden selbst Landesherren und wer-
den so aus Richtern, die im Namen des Reichs richten, selbstándige Inhaber der Ge-
richtsgewalt. Dann besetzen sie die alten Gerichtsstätten ihres Bezirks mit Amtmännern
und Vögten.
hb) Kónigliche Landgeriehte.
In Süddeutschland hat sich jedoch eine Anzahl kóniglicher Landgerichte von der
Unterwerfung unter die Territorialgewalten freigehalten. Es waren dies hier weniger
Grafengeriehte, als vielmehr Reiehslandvogteigerichte, die ja für den Reichsbesitz den
Blutbann erhalten hatten, und auch Landfriedensgeriehte. Sie wahrten sich ihre Stel-
lung als unmittelbare Reiehsgerichte und behielten die direkte königliche Bannleihe
bei. Manche von ihnen, die aus kleinen Reichslandvogteien hervorgingen, hatten nur
einen bescheidenen Umfang, wie die kôniglichen Landgerichte auf dem Bornheimer Berg,
zu Ingelheim, Kaichen, Hirschberg, Rothenburg a. d. T., Bamberg u.a., dagegen hatten
andere, wie das aus der großen fränkischen Reichslandvogtei Franken hervorgegangene
königliche Landgericht zu Nürnberg, das aus der Landvogtei Niederschwaben erwach-
sene königliche Landgericht (seit Wenzel „Hofgericht“ genannt) zu Rottweil, das aus
der Reichslandvogtei Oberschwaben entsprungene Landgerieht auf der Leutkircher
Haide und der freien Birs'*, einen gróBeren, ja einen sehr weitgehenden Wirkungskreis.
Aus einem Landíriedensgericht ist das kónigliche Landgericht des Herzogtums Fran-
ken in Würzburg entstanden.
Bemerkenswert war für diese königlichen Gerichte, daß auch Rechtsfragen aus
anderen Gerichtsbezirken bei ihnen angebracht werden konnten, und vor allem, daß
sie das Recht erlangten, die Acht zu verhängen.
e) Die Vemgeriehte.
Kopp, Verfassung der heimlichen Gerichte in Westfalen. 1794. P. WIGAND, Das Femgericht
Westfalens. 1825. 2. Aufl. 1893. L. Tross, Sammlung merkwiirdiger Urkunden f. d. Gesch. der
Femgerichte. 1826. F. P. UsgNER, Die Frei- und heimlichen Gerichte Westfalens. 1832. J. S. Szr-
BERTZ, Zur Topographie der Freigrafschaften, in Z. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 23—28. R.
BRODE, Freigraischaften und Feme. Halle. Diss. 1880; Derselbe, in Hist. Aufsátze Georg Waitz ge-
widmet. 1886. TH. LINDNER, Die Veme. 1888. F. Pniurrr, Das westfülische Femegericht und seine
Stellung in der deutschen Rechtsgeschichte. 1888. E. MzrsrER aaO. F. PrirrePr, Zur Gerichts-
verfassung Sachsens, MIÓG. 35, S. 209 ff. K. BEYERLE, Die Pfleghaften, ZSavRg. 35. E. Morrroz,
Die Entwicklung der westfilischen Freigerichte, in der Zeitschrift: Westfalen 1914 S.38—49. A.Waas,
Zur Frage der Freigrafschaften, ZSavRg. 38, 1917. HEUSLER, Vfg., S. 2201. Scugópzn, Rg.5, $ 49.
BRUNNER, Grundzüge”, $ 43 S. 181 f.
Es war bisher herrschende Meinung, daB die Vemgerichte oder Freigerichte
die direkte Fortsetzung der alten Grafengerichte mit kóniglicher Bannleihe seien.
Die alten Landgerichte hütten in Westfalen deshalb diese Fortentwicklung genommen,
weil dort die große Zahl einer freien Bevölkerung die Landgerichte lebensfähig erhal-
ten habe und der ferngesessene westfälische Herzog in der Person des Erzbischofs
von Köln sowie die anderen geistlichen Fürsten Westfalens nicht die Kraft besessen
hätten, diese Gerichte in Territorialgerichte umzuwandeln.