Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
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Die Veme 
mehr und mehr der Begriff des Geheimnisvollen verband, nannte man die Nichtschof- 
fen ,,Unwissende". Seit dem Ende des 14. Jhs. hat man immer seltener Unwissende 
zu dem Vemding einberufen. Seitdem gab es fast nur geheime Stilldinge. 
Der Freischóffe wird im Freiding aufgenommen, er leistet einen Eid, das Ge- 
heimnis der Veme zu wahren, er wird dabei über die geheimen Erkennungszeichen be- 
lehrt (,,wissend" gemacht) und zahlt ein hohes Aufnahmegeld. Die Adeligen West- 
falens werden sich wohl alle in die Reihe der Freischóffen, den sogenannten Freischóffen- 
bund, haben aufnehmen lassen, ebenso die westfälischen Stadträte. Auch außerhalb 
Westfalens bewarb man sich darum, an dem einen oder anderen westfälischen Frei- 
stuhl Freischôffe zu werden. Der Kaiser Sigismund, der Kurfürst Friedrich I. von Bran- 
denburg und viele andere weltliche und geistliche Fürsten und Sonstige angesehene 
Männer, besonders viele Stadträte, wurden „wissende‘‘ Freischöffen. 
Die Freischöffen hatten gewisse besondere Vorzüge, wenn sie selbst angeklagt 
wurden, daher war ihre Stellung sehr gesucht!); berechtigt waren sie, an allen Frei- 
stühlen zu erscheinen. Die Freischóffen waren — aufer zur Geheimhaltung — verpflich- 
tet, bei der Hinrichtung mitzuwirken?), Vorladungen zu bestellen und gewissermaßen als 
„amtliche Rügegeschworene‘“ Anzeigen anzunehmen und daraufhin die Rüge (vem- 
wroge) zu erheben und als Ankläger aufzutreten. 
Wenn mindestens drei Freischöffen jemanden bei handhafter Tat ergriffen, so 
konnten sie ein Notgericht abhalten und den Verurteilten am nächsten Baume auf- 
hängen. Bei nicht handhafter Tat trat das Rügeverfahren und Beweisverfahren im 
Freiding ein, die beide ganz aus der karolingischen Wurzel erwachsen waren. Der Zwei- 
kampf war als Beweismittel nicht zugelassen; es gab nur die Reinigung vermittels Ei- 
des und Eidhelfer, wobei Ankläger und Angeklagter sich in der Zahl der Eidhelfer über- 
bieten konnten.?) Insofern haben wir eine direkte Fortsetzung des alten Gerichtsver- 
fahrens, nur daß die Freigerichte, stolz im Bewußtsein, von den karolingischen Ein- 
richtungen abzustammen, gewisse Formen und Förmlichkeiten ausbildeten, um sich 
auch deutlich von den landesherrlichen Gerichten zu unterscheiden. Das Richten bei 
königlichem Banne, mit dem ebenfalls bestimmte feierliche Formen verbunden waren, 
unterstützte solche Förmlichkeiten. So bekamen die westfälischen Vemgerichte all- 
mahlich den Nimbus eines Geheimbundes. ; 
Ihre Gerichtssitzungen wurden zuweilen bei wichtigen Fällen auch äußerlich 
glanzvoll gestaltet, indem außer dem vorsitzenden Freigrafen mehrere andere Frei- 
grafen erschienen und den Mitvorsitz führten und außer den notwendigen sieben Frei- 
schöffen bıs zu 100 anwesend sein konnten. 
Den Charakter von königlichen Gerichten haben die Vemgerichte auch nicht ver- 
loren, als der Erzbischof von Köln zunächst 1382 für seine eigenen Freigrafen das Recht 
erhielt, den Königsbann zu erteilen, und dann der Kölner Erzbischof Dietrich v. Mörs 
von Kaiser Sigismund 1422 geradezu zum „Statthalter der heimlichen Gerichte‘ ein- 
gesetzt wurde. Seitdem?) hat der Kólner Erzbischof über alle westfälischen Frei- 
1) Andererseits waren die westfälischen Freigrafen sehr geneigt, neue Freischóffen anzu- 
nehmen wegen der Geldeinnahme bei der Aufnahme. 
2) Dies war nótig, weil keine staatliche Exekutivgewalt dazu zur Verfügung stand. Ein 
großer Nachteil dieser Einrichtung lag darin, daß sie zu Mißbrauch und Mord den Deckmantel 
abgeben konnte. Innerhalb des eigenen Gerichtsbezirkes hatte der Freischöffe als angesehener, 
geachteter Mann in der eigenen Stellung den Rückhalt für seine Exekutivgewalt. Die Ausdehnung 
dieser Gewalt auf das ganze Reich war eine Überschreitung der natürlichen Grenzen der Schöffen- 
gewalt und mußte zu Nachteilen in der Rechtspflege führen. HrusLEr, Vig. S. 228. 
3) H. BRUNNER, Grundzüge', 1919, S. 183. 7 
4) 1475 wurde dies dem erzbischöflichen Stuhl als solchem zuerkannt. Vgl. GRAUERT, Her- 
zogsgewalt in Westfalen. (1877.) S. 118f. LINDNER aaO. S. 416, 418f., 496f. 
GrundriB d. Geschichtewissenschaft II. 3. 3. Aufl. 13 
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
     
	        
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