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Das Kriegswesen 21
a) Das Heer.
Aus dieser Zeit des allgemeinen Kriegertums stammte die Pflicht aller wehr-
fähigen Germanen, am Kampfe ums Dasein tatkräftig teilzunehmen ; als etwas Selbst-
verständliches entwickelte sich der Grundsatz der allgemeinen Heerpflicht. Diese all-
gemeine Heerpflicht des Germanen unterschied sich aber von der allgemeinen Militär-
dienstpflicht, wie sie bei uns bis zur Revolution 1918 in Geltung war: es wurde nicht
jeder Bürger, der diensttauglich war, in das Heer eingereiht, sondern umgekehrt
nur derjenige, der kriegstauglich war, konnte Vollbürger sein. Die Waffen-
tüchtigkeit war die Voraussetzung der bürgerlichen Vollrechte. Krieger zu sein, ist
demnach nicht nur Pflicht, sondern auch ein Recht des Vollfreien. Und zwar waren
die Krieger allein die Bürger!) mit exercitalis bezeichnen die Römer bei den Ger-
manen geradezu Bürger und mit exercitus Bürgerschaft. Auch sonst haben wir
sprachliche Beweise, daB Heer und Volk einander gleich waren. Wulfila (Lueas 2)
braucht das Wort harjis, obwohl er Volksmenge meint; bei den Langobarden bedeutete
hariman soviel wie Krieger und Freier, fara sowohl Heer als auch Volk; ebenso
findet man bei den Burgunden faraman in dieser Doppelbedeutung. Deshalb stan-
den auch die bürgerlichen Einriehtungen mit dem Heerwesen aufs innigste in Ver-
bindung.?) Die Volksversammlung war Heeresmusterung,sie war der Ort der Wehr-
haftmachung; der Rechtsgang kannte die kriegerische Fehde und den entscheidenden
Zweikampf.
Auch die Gliederung des Heeres war ursprünglich gleich der desVolkes. Die Sippen
kämpften beieinander?); sie bildeten Abteilungen des Heeres von ungleicher Größe.
Ob daneben auch Gruppierungen zu Tausenden und zu Hunderten bestanden
haben, muß dahingestellt bleiben. In der Hervara saga?) ist ein groBes Heer er-
wühnt, das nach Tausenden und Hunderten zählte. Da sich diese Stelle aber auf das
Heer der Hunnen in der Schlacht auf den katalaunischen Feldern bezieht, also inhalt-
lich die Auffassung des ursprünglichen westgotischen Erzählers widerspiegeln kann,
beweist sie nichts für das Vorhandensein der Tausendteilung bei den Skandinaviern.
Auch die vielzitierte Stelle bei Caesar über die Gaue der Sueben®), die jährlich
tausend Krieger ins Feld stellen, ist zu vieldeutig und unglaubwürdig, als daß sie
als sichere Grundlage für die Annahme einer germanischen Heeresgliederung nach
Tausenden gelten kann. Und selbst wenn die Sueben so volkreich waren, daß ihre
Gaue tausend Krieger liefern konnten, bleibt es doch sehr zweifelhaft, ob darin eine
allgemeine taktische Gliederung der germanischen Heere in Tausendschaften zu sehen
ist. Warum sollte nicht das eine und andere Mal nach Tausenden gezählt worden sein,
ohne daß dies ein gemeingermanisches Einteilungsprinzip war? Bei den Westgoten
dagegen ist die Tausendschaft, thiuphadia, als Heeresabteilung bezeugt®) mit einem
thiuphadus oder millenarius an der Spitze.
1) Liten und Unfreie konnten nur als TroBknechte im Heere Verwendung finden, galten aber
nicht als Krieger.
2) So ist z. B. das Heergeräte, die kriegerische Ausrüstung, bei Schutz- und Dienstverhältnis
sowie im Erbrecht von Bedeutung.
3) Caesar, Bell. Gall. I, 51: Generatimque constituerunt. Tac., Germ. 7: non casus nec fortuita
conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates.
4) Ausgabe von N. M. PETERSEN in Nordiske Oldskrifter TIT. 1847. 14, p. 50. Vgl. Rrer-
SCHEL, Die germanische Tausendschaft aaO. S. 241. v. SCHWERIN, Altgerm. Hundertschaft S. 174.
5) Bell. Gall. IV, 1. Über die Unglaubwürdigkeit vgl. Warrz, Vg. I?, S. 103, 224£. Auch
DELBRÜCK, Der urgermanische Gau und Staat, in den Preuß. Jahrbüchern. Bd. 81. 1895. S. 483.
6) Vgl. S. RIETSCHEL (s. 0.), S. 241f. Er hält dieses Vorkommen bei den Westgoten nicht für
urgermanisch, sondern für römischen Einfluß. „Dann hätte man in der thiuphadia die römische
Neulegion, den numerus, zu erblicken, der seit Diokletian tatsächlich eine Tausendschaft war, in
dem thiuphadus oder millenarius aber den Tribunen, der in den griechischen Quellen als z14í«oyos,
in rómischen gelegentlich, besonders auch in Spanien, als millenarius erscheint.