26 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
das Schweiggebot des Priesters!) oder des Richters: „Ich gebiete Lust und verbiete
Unlust‘“, das uns in nordischen, sächsischen, friesischen und fränkischen Quellen
überliefert ist, und verschiedene Hegungsfragen des Richters, z. B. ob es Zeit und Ort
des Dings sei, vervollständigten die Vorbereitungen vor der Gerichtsverhandlung.
Richter war der princeps; er besuchte die Siedelungs- und Gerichtsstätten des ihm
angewiesenen Bezirks und hielt Gericht ab. Caesar berichtet uns, daß die prineipes re-
gionum atque pagorum inter suos ius dicunt, controversiasque minuunt.?) Nach Ta-
citus sind es die principes, qui iura per pagos vieosque reddunt?) oder ius dicunt,
während centeni comites aus dem Volke consilium simul et auctoritas gewährten.
Diese Quellenstellen sind wohl folgendermaBen zu interpretieren: Die auf dem Land-
ding der civitas gewühlten Fürsten haben Gericht zu halten in den Gauen und Dór-
fern, nàmlich echtes Ding an dem Mallus des Gaus oder an den verschiedenen Mal-
státten ihrer Gaue, gebotenes Ding konnte auch in einem Dorf angesagt werden. Daß
der Fürst dabei 100*) Begleiter aus dem Volke hat, ist sonst nirgends berichtet, viel-
leicht ist centeni von Tacitus hier in dem Sinne gebraucht, wie wir auch heute noch
hundert oder tausend sagen, wenn wir eine unbestimmte Menge meinen. Jedenfalls
hat er demnach ein ansehnliches Gefolge, das ihn berüt und das seinem Gebot Nach-
druek geben kann, consilium et auctoritas. Der princeps führte als Richter den Vor-
sitz im Gericht, und er verkündete denn auch den Urteilsspruch, er gab das Rechts-
gebot aus.?) Das Urteil selbst aber erfragt er. Diese Frage wird sich an die Gesamt-
heit der Versammelten gerichtet haben; der Richter konnte aber auch mehrere oder
einen besonders Rechtskundigen zum Urteilsvorschlag auffordern. Es wird dabei
wohl nicht ausgeschlossen gewesen sein, daß er auch selbst einmal den Urteilsvor-
schlag machte.®) Erst durch die Zustimmung der anwesenden Gerichtsgemeinde
(Vollwort) wurde ein solcher Vorschlag zum Urteil. Dieses Vollwort wird wahrsehein-
lich schon von Anfang an durch Waffenschlag, Waffenrühren erfolgt sein.
IL. Von der Völkerwanderung bis zum Ende der Karolinger.
jinleitung.
KasPan ZEUSS, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme. 1837. W. ARNOLD, Ansiedelungen
und Wanderungen deutscher Stämme. 1875. 2. A. 1881 v. ErckErT, Wanderungen und Siedelungen der
germanischen Stämme bis Karl d. Gr. 1901. O. BREMER, Ethnographie der germanischen Stämme, in
Paurs GrundriB der germ. Philologie. Bd. 3. 1889. F. Srzrn, Die Stammfrage der Germanen und
die älteste Geschichte der deutschen Stämme. 1899. R. Mvcn, Deutsche Stammsitze. 1892; derselbe,
Deutsche Stammeskunde (Sammlung Góschen 126). 1900. E. Hevcok, Uber Nationalitit und Stamm.
verhältnisse der Germanen. HZ. 85. WINTERSHEIM, Gesch. der Völkerwanderung. 4 Bde. 1859—
1864. 2. Aufl. von F. Daux. 2 Bde. 1880—1881. RzrrrER, Der Glaube an die Fortdauer des Rómer-
reiches im Abendlande. Münster. Diss. 1900. HzusrzR, V. f2. 161, 19f.
Die Gesetze u. Volksrechte der germanischen Stämme siehe v. SCHWERIN in diesem Grund-
rail 5* S. 107ff.
Die geschilderten germanischen Verhältnisse hielten sich intakt nur so lange, als
sie nieht der Einwirkung dureh das Rómertum ausgesetzt waren. Schon in der Zeit der
Angriffe Roms auf die germanischen Lande haben die Germanen vom Gegner gelernt.
1) Tac., Germ. c. 11. 2) Bell. Gall. VI, 23.
3) Tacitus Germ. c. 12: Eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque
reddunt. Centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas assunt.
4) Die herrschende Meinung sieht in dieser Stelle den Beweis für die Existenz der Hundert-
schaft. Die Hundertschaft sei die Gerichtsgemeinde. Dabei bleiben die Ausdrücke comites und ex
plebe unerklärt. Für comites sucht v. SCHWERIN eine Erklärung, indem er es für ein Mifiverstándnis
a hält, der ein deutsches Wort ,,Folger* (sc. des Urteils) wörtlich übertragen habe (aaO.
S. ;
5) Auc. S. ScHULTZE, Privatrecht und Prozeß in ihrer Wechselbeziehung I, S.97f.
6) Diese verschiedenen Möglichkeiten sind Rückschlüsse aus der verschiedenen Verteilung
der Urteilsfindertätigkeit bei den einzelnen Stämmen nach der Völkerwanderung.
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