Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

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39 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
greifen konnte. Die Amtshoheit übte er, indem er einerseits römische Organisationen 
wie das Munizipalwesen und die Magistratur bestehen ließ, anderseits gotische Beamte 
einführte. Die höheren Beamten dux, comes, vicarius erstreckten ihre Befugnisse in 
gleicher Weise über Goten und Römer.!) Auch kann der König in die Rechtspflege 
durch seine Gerichtshoheit eingreifen, 
¢) Die Ostgoten,?) Nachdem Theoderich in Übereinstimmung mit Kaiser Zeno die Ostgoten 
nach Italien geführt und als Beauftragter des Kaisers die Herrschaft des Odoaker gestürzt hatte, 
führte er die schon von Odoaker erlassene Verfügung der Landteilung durch?), die den Germanen 
ein Drittel des Ackerbodens zuwies. Die Ansiedlung der Goten fand unter môglichster Beibehal- 
tung der Geschlechterverbände statt. Der ostgotische Staat ist durch den rômischen Kaiser autori- 
siert, seine Anfänge gehen auf die Zustimmung der kaiserlichen Regierung zurück, er ist als ein 
Teilstaat dem Imperium eingefügt. Er hat also nicht den Grad der. Selbständigkeit erreicht wie 
der westgotische Staat seit Eurich. Theoderich hat an der Auffassung von der Einheit des rómischen 
Weltreiches festgehalten, er suchte die rómischen Formen nach Möglichkeit beizubehalten. F'or- 
mell blieb er dem römischen Kaiser untergeordnet, wenn er auch tatsächlich unabhängig regierte. 
Das Charakteristische der diokletianisch-konstantinischen Verfassung bestand 
in der Trennung der Militär- und der Zivilverwaltung. Theoderich übernahm für sich 
und seine Goten ausschließlich die Militärmacht; die Goten waren die einzigen Krie- 
ger, sie standen unter comites, die zugleich richterliche Befugnis hatten. Und neben 
dieser gotischen Heeresverfassung bestand die Zivilverwaltung der Römer in der Form 
der Munizipalverfassung und mit dem praefectus praetorio und dem viearius. Ja, selbst 
den römischen Senat ließ er bestehen. Es waren zwei förmlich getrennte Verwaltun- 
gen; die römische Verwaltung nannte Theoderich selbst seine res publica Romana. 
Fiir Romer waren die Gotengrafen nur dann zustándig, wenn es sich um Streitigkeiten 
zwischen Goten und Römern handelte. Theoderich bestimmte, daf sie dann unter 
Umständen nach gotischem oder rómischem Recht urteilen muBten. Als Theoderich 
510 zum Danke dafür, daB er das Westgotenreich vor den Franken gerettet hatte, 
die Provence erhielt, da hat er auch nach Gallien die Scheidung der Militàrgewalt 
unter eomites mit richterliehen Befugnissenf) und der Zivilgewalt unter praefectus 
praetorio und viearius übertragen. 
Theoderieh hat seine eigene Stellung über die im Rahmen der germanischen 
Verfassungen dem Kónige gegebene hinausgehoben, dadurch, daß er die Volksver- 
sammlung überflüssig machte und wie ein Imperator gebot. Er hat die Militärhoheit 
und die Justizhoheit, er ist Leiter der auswärtigen Politik. Seine Edikte haben bin- 
dende Kraft für Goten und Römer, wenn sie auch formell nicht als Gesetze galten, 
da nur der römische Kaiser das Recht der Gesetzgebung hatte. Die römische Steuer- 
verfassung ließ er nicht nur bestehen, sondern er verstand sie auch auf die Goten 
auszudehnen, — gewiß ein bedeutsames Zeichen einer weitgehenden Finanzgewalt. 
Ebenso übt er Polizeigewalt aus und das Beamten-Ernennungsrecht, Vor allem hat 
er es verstanden, den Erbanspruch an der Krone durchzusetzen, so daß kraft Erb- 
rechts sogar eine Frau, Amalasuntha, den Thron besteigen konnte. 
Nicht alles hatte dauernden Bestand, da manches in der Macht seiner Persón- 
lichkeit begründet war, so besonders das germanische ,, Mittelmeerstaatensystem*’, 
das unter seinem Protektorate ins Leben trat. Seine Nachfolger wuBten diese politische 
1) Betr. der Unterrichter s. o. S. 30. 
à 2) L. M. HARTMANN, Das italienische Konigreich 1897. G. PFEILSCHIFTER, Theoderich d. Gr. 
1910. 
3) Procop, De bello Gotico I. 1. 
4) Man unterschied den comes erster und zweiter Klasse. Im römischen Recht hatte der 
comes die Jurisdiktion nur für seine Soldaten. Es war daher eine Neuerung Theoderichs, daß die 
comites nicht nur in Streitigkeiten der Goten, sondern. auch in Prozessen der Goten mit Römern 
entscheiden sollten. Durch besondere Delegation konnten sie selbst mit Zivilgeschäften über Römer 
betraut werden. Hier haben wir ein Analogon zum fränkischen comes. Betreffs der Literatur über 
den römischen comes civitatis vgl. W. SICKEL in GGA. 1886. S. 5691. ; 1888. S. 4401.; WZ.9 S. 252. 
  
   
  
   
  
  
     
     
  
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
  
  
  
   
	        
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