Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
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Ganz analog dazu hat Ludwig d. Fr. durch die ordinatio imperii v. J. 817 Lothar
zum Mitkaiser und Nachfolger ernannt, während er den jüngeren Söhnen die Stellung
von Unterkónigen einráumte. Das übergeordnete Kaisertum wurde das einigende Band,
das die Reichseinheit darstellte. Das wurde jedoch schon anders im Vertrage zu
Verdun. Hier dankte die universale Kaiseridee wieder ab, jeder T'eilkónig ward un-
abhüngiger Herrscher neben dem Kaiser, und die Teilreiche wurden zu selbständigen
Kónigreichen, jedes erhielt seine eigene Kanzlei. Zun&chst hielt sich auch jetzt noch
die Vorstellung von der Einheit des gesamten Frankenreiches. Dies kam zum Aus-
druck dadurch, daf man von einem westfrünkischen und einem ostfrünkischen
Reiche sprach, und dadurch, daß noch alle Könige der verschiedenen Reiche aus einer
Familie stammten. Die karolingische Familie betrachtete bis zu ihrem Untergang
die gesamten Frankenreiche als ihr gemeinsames Familienbesitztum; nur dadurch
erklärt sich, daß der unfähige Karl III. noch einmal alle Reiche in seiner Hand ver-
einigen konnte. Das hinderte aber nicht, daß die landschaftlichen Unterschiede sich
im Laufe der Zeit immer mehr geltend machten und ihre Sonderansprüche durch-
setzten. Es bildete sich gesondertes Volkstum im Anschluß an landschaftliche Zu-
sammengehörigkeit immer deutlicher innerhalb des Gesamtreiches aus.
Der König regierte vermittelst des Königsbannes. Dieser Bann ist entweder ein
Friedensbann, durch den Personen, Sachen oder Örtlichkeiten einem höheren Frieden
unterstellt wurden — vor allem ist die Person des Königs und das Königsgut in diesen
höheren Frieden einbegriffen —, oder es ist ein Befehlsbann, durch den Anordnungen
des Königs in Verwaltung und Recht eine höhere Verbindlichkeit erhielten. Der Bann
äußert sich dadurch, daß die Verletzung des höheren Friedens oder die Nichtachtung
der höheren Verbindlichkeit eines königlichen Befehls eine höhere Bannbuße nach -
sich zieht. Nach ihrem Wirkungsgebiete unterscheidet man einen königlichen Heer-
bann*), Gerichtsbann, Polizeibann u. a. Vom Befehlsbann wird der König in der Zeit
der Merowinger nur im Kriege, zur Friedenszeit dagegen noch nicht allzuviel Gebrauch
gemacht haben, denn er hatte noch kein unbedingtes Gesetzgebungsrecht. Der König
mußte mit dem alten Rechte der Gesetzgebung durch die Volksversammlung rechnen.
Die eigentliche Volksversammlung gab es zwar nicht mehr, aber auf dem Märzfeld
erschienen die Großen der Stämme, und diese beschlossen nun mit dem König das
Gesetz. Selbst die capitula legibus addenda sind nicht einseitig vom König verfügt,
sondern mit Hilfe und vielleicht unter Initiative der Großen zustande gekommen.
In Sachen, die das Volksrecht nicht unmittelbar angingen, wie Gerichtsbefehle u. &.,
hat dagegen der Kónig durch den eigenen Befehlsbann praecepta erlassen. Anders
war es schon in der Karolingerzeit; Karl d. Gr. hat sich schon der Banngewalt aus-
giebig bedient, um ergänzend und beeinflussend zu den Volksrechten Stellung zu neh-
men. Der Kónig übertrug seine Banngewalt auf seine Beamten, die sie in seinem Na-
men verwalteten.
Neben dem auf der kónigliehen Banngewalt fufenden besonderen Kônigsfrieden
wird jetzt bei den Franken auch der gemeine Landfriede als Känigsfriede aufgefaBt.
Nicht mehr die Volksgemeinde bestraft den Friedensbrecher, verfolgt und tötet ihn
bei handhafter Tat, sondern sie darf ihn nur noch binden und vorführen. Den Friedens-
bruch, die Infidelität, bestrafen jetzt der König und seine Beamten. Dabei ist die
alte strenge Wirkung der Friedlosigkeit abgeschwächt. Der König hat das Recht, die
Todesstrafe zu mildern in Verbannung, in Verstümmelung oder in Vermögensstrafe.
Daraus entwickelt sich eine arbiträre Strafgewalt des Königs.
1) Besondere Beamte, haribannatores, haben unter den Karolingern die verwirkten Heer-
bannbußen eingetrieben.
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