Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
A. Die Verwaltungsbezirke.
Die. Reichsteilungen der Merowinger haben in den Teilreichen große Verwaltungsbezirke
geschaffen: Austrasien, Neustrien und Burgund. Selbst, wenn nur ein König das fränkische Ge-
samtreich regierte, verblieben getrennte Verwaltungsdistrikte unter eigenem Hausmeier. Der Gegen-
satz des germanischen Ostens und des römischen Westens, der eine Zeitlang verwischt war, als der
austrasische Hausmeier den neustrischen gestürzt und sein Gebiet an sich gerissen hatte, brach
unter den Söhnen Ludwigs d. Fr. doch wieder durch und führte schließlich zur Bildung einer Francia
orientalis, ostfránkisches Reich, neben der Francia occidentalis, dem Westreich. Eine Zeitlang
schob sich Lothars Reich, Lotharingen, wie ein Keil dazwischen. Es war jedoch ein künstliches
Gebilde und konnte auf die Dauer die Selbständigkeit nicht bewahren; es wurde später in seinen
Resten — Lothringen — bald von dem einen, bald von dem anderen der beiden Übrigbleibenden
beansprucht und in Abhängigkeit gebracht.
Ähnliche große Verwaltungsbezirke waren die Unterkönigtümer, die zu verschiedenen Zeiten
existierten und von Mitgliedern der Kónigsfamilie verwaltet wurden, wie Italien, Aquitanien, Bayern,
anknüpfend an geschichtliche Sonderentwicklungen.
Davon abgesehen, gab es auch noch andere geschichtlich gewordene oder geographisch ab-
geschlossene Einheiten, die Dukate, auch Provinzen genannt, lateinische Bezeichnung: provincia,
ducatus, regnum.!) Sie waren von ganz verschiedener GróBe und teilten auch nicht etwa das ganze
Reich auf. Solche Dukate waren Austrasien, Bretagne (Britannia), Waskonia (Land der Basken),
Septimanien oder Gotien, Bayern, Alamannien, ElsaB, Churrhátien, Istrien, Thüringen, Ribuarien,
der Dukat Hamaland der Chamaven. Dieser Verwaltungsbezirk des Dukats ist von den Karolingern
abgeschafft worden.
Die eigentlichen, das ganze Reich wie mit einem Netze überspannenden Ver-
waltungsbezirke der fränkischen Zeit sind die Grafschaften. Als Gallien in Graf-
schaften eingeteilt wurde, wählte man als Grafschaftsbezirke die dort vorhandenen
römischen civitates. Der römische Civitas-Bezirk wurde der Gau der Grafschaft, die
Stadt war ihr Verwaltungszentrum und gab dem Grafschaftsgau deshalb auch viel-
fach den Namen, z. B. Metzgau, Speyergau. Im rechtsrheinischen Germanien ist die
Grafschaftseinteilung nicht mit einem Schlage eingefiihrt worden. Da, wo die Reste
romischer Einrichtungen vorhanden waren, kniipfte man zum Teil ebenfalls an die
civitates an, und so entstehen auch dort Gaue mit Stadtnamen wie Wormsgau, August-
gau, Salzburggau. Sonst nahm man den vorhandenen alten Vólkerschaftsgau?), wo er
noch bestand oder wo sich Name und Erinnerung an ihn erhalten hatte, und so erhielt
man Bezirke mit Vólkerschaftsnamen wie Hamaland (Chamaven), Linzgau (Alamanni
Lentienses), Bardengau (Langobarden), pagus Batua (Battaver), pagus Hattuaria
(Chattuarien), pagus Boroetra (Brukterer) pagus Engili (Angeln) u.a. In diesen
Fällen blieb oft der frühere Vólkerschaftsverband zusammen; wo vorher ein Gau der
Volkerschaft war, wurde daraus ein Grafschaftsgau des neuen Gesamtstaates. Es
konnte aueh vorkommen, da der Name des Gaues bestehen blieb, wenn auch die
früheren Bewohner ihr altes Volkerschaftsgebiet verlassen hatten. Ferner hat auch
hier und da die Umgrenzung eines Grafschaftsgaues den alten Vólkerschaftsgau durch-
schnitten, so daB die Grenzen beider sich nieht deckten. Auch die Grafschaften mit
Namen nach den Himmelsrichtungen knüpfen zum Teil an die alten Gaue früherer
Vôlkerschaften an, wie im FlsaB die Grafschaften Nordgau und Sundgau, in Bayern
Nordgau, Westergau und Sundergau, in Thüringen Westergau und Ostergau, im Mittel-
frieslande Suthergo, Westergo und Ostergo. Gaue, die nach FluBnamen, Gebirgen u.
dergleichen benannt wurden, haben ebenfalls alte natürliche Bezirke zur Grundlage.
Solche Gaue wurden nun im Gebiete des Frankenstammes und in ganz sicheren
und friedlichen Reichsgebieten zu Verwaltungsbezirken von Grafschaften, d.h. sie
wurden zum Gerichtsbezirk für einen Grafen eingerichtet. Der Begriff Gau ist demnach
auch dann noch eigentlich ein geographischer?), es ist der Terrainbezirk der Grafschaft.
1) Nicht zu verwechseln mit regnum — Reichsgut, z. B. das Aachener Reich.
2) Vgl. auch GrundriD, Reihe I, den Abschnitt von KOTzsCHKZE; ferner KagTsCcHMER, Hist.
ce s S. dur in v. BELOW-MEINECKE, Handbuch
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