54 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Das fränkische Reich, insbesondere die Karolingerzeit, hat recht eigentlich erst
den Beamtenstaat geschaffen. Der altgermanische Volksstaat hatte auch schon Be-
amte gekannt, Volksbeamte, aber ihre Zahl war gering und ihre Stellung eine andere.
Man kann weder die Sippenältesten, die Ordnung in der Sippe hielten, Beamten der
Sippe, noch die Volksweisen und Ältesten, die das Weistum in den Versammlungen
fanden, Beamte des Volkes nennen. Die vorhandenen alten Volksbeamten waren in
der Hauptsache nur Vollzieher des Volkswillens, die neuen staatlichen Beamten waren
Beauftragte des Königs. Sie hatten eine Regierungsgewalt, wenn auch nur eine abge-
leitete. Diese Regierungsgewalt war ebenfalls erst geschaffen und allmählich ausge-
bildet worden in der königlichen Banngewalt. Diese trat zunächst nur ergänzend neben
das Volksrecht, aber sie wurde doch die Basis zu einem Verordnungsrecht der Regie-
rung und somit auch zu einer eigentlichen Regierungsgewalt der Beamten im Rahmen
ihres Auftrags.
Das älteste Ämterwesen des fränkischen Reiches in der Zeit des Entstehungs-
prozesses und der ältesten Konsolidierung lernen wir am besten aus der Lex Salica
kennen. Da erscheinen zunächst einige Beamte der Übergangszeit, die später nicht
mehr vorkommen: der thunginus und der sacebaro, ferner der praefectus.
1. Der thunginus.
Der thunginus (thuneinus, thunkino, thunkin) ist ein Volksbeamter; denn er hat
nieht das dreifache Wergeld des Kónigsbeamten. Er ist ein richterlicher Beamter,
der den mallus ankündigt, der ihn dureh die üblichen Hegungsfragen einleitet und
der den Vorsitz führt. Dies alles sind Funktionen, die früher dem princeps im Gau
zustanden. Es ist also wohl ein und derselbe Beamte. Die Germenen nannten ihn
thunkino, die Rómer bezeichneten diese Thunkine als principes. Wie es von den
principes bezeugt ist, wird auch der thunkin aus den Vornehmen der Gerichtsgemeinde
entnommen sein. Auch der thunkin scheint nieht Riehter bloB einer Gerichtsstütte,
sondern im ganzen Gau gewesen zu sein. Ein Unterschied ist nur der, da jetzt beim
gebotenen Ding nicht nur der thunkin, sondern auch der Zentenar das Ding ansagen
und den Vorsitz führen kann, während früher neben dem princeps niemand dieses
Recht hatte. Das ist so zu erklären, daß in der Zeit der Neubildungen der Zentenar
der neuen fränkischen Zentenen auf Kosten des Gaurichters an Bedeutung gewonnen
hat. Er hat für den Bezirk der territorialen Zentenen den Gaurichter unterstützt,
indem er sein Beisitzer wird und in dem gebotenen Zwischengericht schließlich sein
Vertreter und selbständiger Vorsitzender. Die Fortsutzung, die der altgermanische
princeps im thunkin erhalten hat, scheint aber mit einer Verengerumg seiner Tàtig-
keit Hand in Hand gegangen zu sein. Die alten principes waren Führer im weiteren
Sinne, bildeten den Fürstenrat und bereiteten die Volksversammnlung vor. Mit dem
Weiterwandern der Gauinsassen waren die Verwaltungsaufgaben, war die Beziehung
zur Volksversammlung fortgefallen. Konstant blieben nur die Gerichtsstätten, den
Göttern geheiligt, und konstant blieb auch das Bedürfnis nach einem Richter für
den Bezirk der Gerichtsstätte. Da mochte der eine oder andere princeps mit Resten
des Volkes an der Gerichtsstätte zurückgeblieben sein, wenn er nicht mitsamt der
Hauptmasse des Gauvolkes fortgezogen war; aber dann war er für die neue Bevölke-
rung nur Richter. Mit der Zersprengung des Völkerschaftsverbandes hatte das Gau-
fürstentum aufgehört. Wenn der alte princeps nicht mehr zur Richtstätte zurückge-
kehrt war, dann hatte sich das Volk an dem Malberg einen anderen Richter gewählt.
Die alte Gerichtsstätte mußte ihren Richter haben, wenn auch die Gerichtsgemeinde
durch die Verschiebung wechselte. Nun verstehen wir auch die Bezeichnung thun-