Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
       
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
    
    
66 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
der Vorzeit vermischt mit dem Dienstadel königlicher Auszeichnung waren zum 
Hochadel geworden. Sie waren zu Herzögen, Markgrafen und Grafen aufgestiegen. — 
Die Mittelfreien*), die sich ihre sozial selbständige Stellung zu wahren gewußt hatten, 
waren jetzt edelfrei; ihre Zahl ist verhältnismäßig nicht groß. Freie Grundleihen, 
Lehen, mindern ihre soziale Stellung nicht. Mittelfreie „sint, die ander Vrien Man 
sint", sagt noch der Schwabenspiegel. Sie sind freie milites, die Lehnsfähigkeit 
haben, und die daher oft in einem lehensrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zur 
hohen Geistlichkeit oder zum weltlichen Hochadel stehen. Sie haben von ihrer Ab- 
stammung von órtlichen Häuptern her als Erbschaft eines früheren patriarchalischen 
Verhältnisses eine gewisse Machtstellung im kleineren Kreise, die gelegentlich mit 
„Zwing und Bann" bezeiehnet wird. — Die Gemeinfreien haben starke EinbuBe er- 
litten dadurch, daD sich viele in eine Schutzherrsehaft begeben haben und vor allem 
in die Kirchenmunt als Wachszinsige eingetreten sind. Freie, die nicht persönlich 
vor Gericht oder zum Kriegsdienst erscheinen, gelten nicht mehr als vollfrei. Sie 
bilden eine Sehieht der Mindertreien. 
c) Die Hórigen, Liten. 
Unter Hórigen verstehen wir die dinglieh Unfreien. Sie haben ihr Gut auf 
Grund einer unfreien Übertragungsform. An das Gut ist die unfreie Leihe geknüpft ; 
wer das Gut empfängt, wird daher dinglieh unfrei. Er selbst ist glebae adscriptus, 
schollenpfliehtig, er kann also nicht einseitig seine Hórigkeit aufgeben. Die Pflichten 
der Hórigen waren entweder rechtlich oder doch tatsächlich begrenzt. 
Als solehe Hórige begegnen uns zunächst die von der Römerzeit in Gallien, 
Alamannien und Bayern noch vorhandenen Kolonen. In Bayern sind daneben Bar- 
schalke erwähnt, die eine gleiche Stellung hatten wie die Kolonen und zuweilen auch 
Kolonen genannt wurden. Etwas niedriger als die Kolonen standen in Bayern und bei 
den Langobarden die Aldien?). Wir haben wohl in den Aldien die strenger gebundene 
germanische Form der Halbfreiheit zu erkennen; in den Kolonen und Barschalken da- 
gegen die sich darüber schiebende Schicht der römischen Einwirkung. Bei den Saliern, 
Ribuaren, Chamaven, Friesen und Sachsen wurden die Halbfreien einheitlich Liten 
genannt; aber ihre Stellung war deshalb nicht einheitlich. Bei den Franken hatten sie 
ein Wergeld von 100 solidi, bei den Mittelfriesen zwei Drittel des Freienwergeldes, 
bei den Sachsen 80 solidi. Trotz dieses geringeren Wergeldes müssen die Liten bei 
den Sachsen, wo sie zahlreich vorhanden waren, in gewisser Wertschätzung gestanden 
haben, da sie dort auch heerpflichtig waren, während sie bei anderen Stämmen .nur 
als bewaffnete Begleiter von ihrem Herrn mit in den Krieg genommen werden 
konnten. Wie der Franke den vollfreien Römer im Wergeld niedriger ansetzte als 
den freien Franken, so gab er auch dem römischen Kolonen, tributarius, homo tri- 
hutalis, ein geringeres Wergeld als dem Liten. 
Die fränkische Gesetzgebung suchte jedoch einerseits den Unterschied zwischen 
Liten und Aldien, anderseits zwischen Liten und Kolonen auszugleichen und billigte 
dem Kolonen ebenfalls ein Wergeld von 100 solidi zu.: 
d) Die Freigelassenen, Liberti. 
Man unterschied eine Freilassung hóherer und eine niederer Ordnung. Die 
Freilassung höheren Rechtes ist die Freilassung des Liten, so daß er ein freier Mann 
wurde; nur ausnahmsweise findet diese Freilassung auch bei Unfreien statt. Die Frei- 
  
1) Virror Ernst, Die Mittelfreien, ein Beitrag zur schwäbischen Standesgeschichte. 1920. 
KTUTGEN aaOÔ., 8. 74 u. 90, weist auf BRUNO, De bello Saxonico ce. 46, wo von den summi principes 
die medii unterschieden werden. 
2) ald — Mensch (?). 
  
	        
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