68 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
carta denarialis ausgestellt wurde. Diese Freilassung führte auch die Bezeichnung
denariatio; der so Freigelassene hieß homo denarialis. Seit ungefähr der Mitte des
9. Jhs. ist in der Form insofern eine Änderung eingetreten, als der Herr den Froige-
lassenen. dem König abtrat, der Freigelassene dann dem König den Denar anbot und
nunmehr der König selbst den Schatzwurf vornahm.?)
Von den Formen der Freilassung stammt die Freilassung per tabulam und per cartam aus
dem römischen Gebrauch, die Freilassung per denarium hat neben dem römischen Element, daß sie
in praesentia principis geschehen soll, auch einen germanischen Kern in dem symbolischen Vorgang
des Schatzwurfes. Dieser germanische Akt mute vielleicht deshalb hinzutreten, weil die römische
Freilassung zur Freiheit im rómischen Sinne führte; das war aber noch nicht die Vollfreiheit im
germanischen. Sinne. In spätrömischer Zeit war nümlich der freie civis Romanus frei vom Militür-
dienst, was nicht dem germanischen Begriff des freien Mannes entsprach. Ferner galt bei den Ró-
mern auch der colonus, der an der Scholle haftete und Zins bezahlte, als frei, während dies bei den
Germanen etwa der Stellung eines Liten gleichkam. Deshalb mußte noch eine Ergänzung zur Voll-
freiheit hinzutreten, und dies geschah eben durch den der germanischen Anschauung entnommenen
Schatzwurt. à
e) Die Wachsziusigen, Cerocensuales, Cerarii.
Die Wachszinsigen sind Hórige der Kirche. Aber diese Hórigkeit ist eine sehr
milde. Ursprünglich bestand sie nur in der Verpflichtung, Wachs oder Wachskerzen
einer Kirche oder einem Altar zu liefern. Als Gegenleistung erhielten sie den Schutz
der Kirche. Es war dies ein Muntverhältnis, das Vollfreie aus religiósen Motiven
oder bei Zuwanderung, um sich einen Schutzherrn zu sichern, eingegangen waren.?)
Mit dem Aufkommen der Freilassung traten auch Freigelassene?) in das Verhältnis
von Wachszinsigen ein. Es entstand dadurch insofern eine Verschlechterung, als
Jetzt auch Sterbfall- und Heiratsgebühr, Abgaben ursprünglicher Unfreien, von Wachs-
zinsigen verlangt wurde. Besonders die kirchlich Freigelassenen (tabulari) wurden
meist Wachszinsige, aber auch cartularii lieBen sich immer háufiger dem Schutz der
Kirche unterstellen, da sie sich bei einem geringen Wachszins am günstigsten standen.
Auf diese Weise ist die Zahl der Wachszinsigen rasch gestiegen. Man spricht sogar gerade-
zu von einer manumissio eeraria als einer besonderen Freilassungsert. So geht ein groBer
Teil der Bevölkerung durch den Stand der Wachszinsigen hindurch, sowohl ehemals
Freie als ursprünglich Unfreie.
Sie erhalten im Wachszinsrecht ein besonderes Standesrecht, das darin gipfelt,
dab sie dem ordentlichen Grafengericht entrückt sind“) und ihren eigenen Gerichts-
stand vor dem Schutzherrn oder dessen Vogt haben, in geringeren Vergehen vor
dem Zinsmoister. Die Gerichtsgemeinde, die das Urteil zu füllen hat, wird durch die
Wachszinsigen selbst gebildet.
f) Die Unfreien.
Unter Unfreien im eigentlichen Sinne verstehen wir die Persónlich-Untreien.
Die soziale Lage und die rechtliche Stellung dieser Unfreien ist eine bessere ge-
worden im Vergleieh zu der germanischen Vorzeit; der Einfluß von Christentum und
Kirche kam ihnen sehr zustatten. In der Bewertung des Knechtes ist ein Fortschritt vor
Saehenwert zum Personenwert angebahnt. Noch haben die Unfreien kein eigentliches
1) In Bayern trat der Herzog an Stelle des Kónigs und nahm persónlich die Freilassung zur
Vollfreiheit vor. Die Chamaven kannten eine Freilassung zur Vollfreiheit per hantradam, die Lango-
barden eine solche per gairethink. BrUNNER, Rg. 12, S. 367.
a 2) A. MEISTER, Studien zur Geschichte der Wachszinsigkeit (Münstersche Beiträge NF. 32/33).
3) Es ist eine schiefe Auffassung, daB die Wachszinsigkeit aus der Freilassung hervorgegangen
sei. Bo: H. BREBAUM, Das Wachszinsrecht im südlichen Westfalen. Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Alter-
tumskunde. 1913. Vgl. dagegen meine Studien z. Gesch. der Wachszinsigkeit, darin: W. HorrAN»,
Die Wachszinsigkeit um unteren Niederrhein, bes. im Stift Xanten, und: Joh. SCHULTE, Die Wachs-
zinsigkeit im nórdlichen Westfalen. Dazu H. v. MINNIGERODE, VSozWG. 13, S. 184f.
4) W. HoLrAND aaO., S. 88£; Joh. ScuurTE aaO., 8.1371.; Herm. AvsrN, Die Entstehung
der Landeshoheit, S. 94. 99. Y