Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
     
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
  
   
   
   
   
   
   
86 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw, 
eingeschärft, daß die kirchlichen Anstalten sich Vögte halten sollen), damit 
ihre von Laien bedrohten Immunitätsrechte gewahrt würden. In der Karolinger- 
zeit hat die Immunitätsgerichtsbarkeit im allgemeinen folgende Ausbildung erhalten: 
Ihre Kompetenz ist eine verschiedene, je nachdem es sich um unfreie oder freie Im- 
munitätsinsassen handelt; sie unterscheidet des weiteren Streit- und Strafsachen der 
Immunitätsleute untereinander (interna) und Streitsachen mit dritten, außerhalb der 
Immunität stehenden Personen (externa). Die Interna auf diesem Gebiete erledigte 
der Immunitätsherr bei Unfreien von alters her selbständig, er hatte in diesen 
Fällen über sie eine unbeschränkte Gerichtsbarkeit. Für Externa der Unfreien, 
Klagen Auswärtiger gegen einen Knecht, hatte der Immunitätsherr nur in leichteren 
Fällen die Entscheidung; in Kriminalfällen war das Landgericht des Grafen zuständig, 
der Immunitütsherr oder dessen Vogt mußte dort den Knecht vorführen, er hatte 
das Recht der Vermittelung. Freien Immunitätsleuten gegenüber hatte der Herr bei 
interna sowie bei externa nur in leichten Fällen eine gerichtliche Kompetenz, während 
er keinerlei Kriminaljustiz über sie besaB. Bei Klagen Auswürtiger haben demnach 
Unfreie und Freie denselben Gerichtsstand, in geringeren Sachen vor dem. Immuni- 
tàtsgericht, in schweren Füllen vor dem Grafengericht. In Klagen der Immunitäts- 
genossen untereinander war ihre Beurteilung verschieden, indem Unfreie in leichten 
und in Kriminalsachen vom Immunitütsherrn oder dessen Vogt abgeurteilt wurden, 
während über Freie nur für causae minores ihnen eine Kompetenz zustand. 
Nach SEELIGER bestand der wesentliche Fortschritt?), den die Immunitàt im 
9. Jh. gemacht habe, darin, daB der private Rechtskreis der Grundherrschaft durch 
die Verbindung mit der Immunität Einfluß über ihr engeres Gebiet hinaus erhielt, 
indem Klagen Auswärtiger an die Instanz des Immunitätsherrn gehen mußten. Die 
tiefgehende Bedeutung dieser Kompetenzerweiterung liege darin, daß die private 
Rechtsprechung des Immunitätsherrn eine Verknüpfung mit der staatlichen 
Geriehtsorganisation erhielt. Indessen dieser Prozeß ist schon vorher an- 
gebahnt. Schon vorher ist der Immunitätsherr, wie oben bemerkt, erste Instanz bei 
Klagen Auswärtiger gegen Immunitätsinsassen gewesen. Es liegt also darin keine 
Neuerung der Karolingerzeit vor. Ferner haben nur die königlichen Eigenkirchen 
und Eigenklöster den königlichen Bann erhalten, der einen staatlichen Auftrag dar- 
stellt. Nur für sie trifft es zu, daß ihre Immunität den Charakter ändert und gewisser- 
mafen aus einer privaten Organisation eine Hilfsorganisation fiir den Staat wird. 
Immerhin ist dadurch eine zukünftige Verstaatlichung der Immunität an- 
gebahnt (s. u. 8. 141 f.). Der Staat zieht mehr und mehr die Immunität zur Ergänzung 
seiner Tätigkeit heran; er sucht in ihr Unterstützung für die mangelhafte Tätigkeit 
seiner Vollstreckungsorgane. 
III. Der mittelalterliche Lehnsstaat bis zum Interregnum. 
1. Deutsches Reich und Kaisertum. 
: Deutsches Reich: C.F. MEYER, Die Teilungen im Reiche der Karolinger. T.1. 1877. Progr. 
Stettin. G. Warrz, Über die Gründung des Deutschen Reiches durch den Vertrag von Verdun. 
Univ.-Progr. Kiel 1843. E. DüwwrLER, Geschichte des ostfrünkischen Reiches. 2 Bde. (Jahrb. d. 
  
1) Bei Eigenkirchen des Reichs wurde der Vogt durch den Kónig bestellt, bei Eigenkirchen 
von Großen durch diese. Solche, die nicht in einem Eigenkirchenverhültnis standen, konnten ihre 
Vógte frei wühlen. A. DoPscH aaO. 9, S. 100f. 
2) Also nicht eine Erweiterung der Kompetenz von der niederen zur hóheren Gerichtsharkeit, 
wie man früher meinte. 
3) Vgl. SEELIGER, Grundherrschaft, S. 93. Vorher schon von Brunner, Rg. 2, S. 301. 
v. WICKEDE, Die Vogtei in den geistlichen Stiften des irànkischen Reiches von ihrem Entstehen 
i Je Aussterben der Karolinger. Leipzig. Diss. 1886. F. KEvTGEN, Der deutsche Staat des 
MA. S. 36. 
  
	        
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