90 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
gesichert. Dieses zentrale Kaisertum hat erst Deutschland aus einer Vereinigung der
. . . é
Stämme zu einem nationalen Reiche umgestaltet‘‘.1)
Für die weitere Entwicklung des Kaisertums ist sein wechselndes Verhältnis zum Papsttume
maßgebend; es wird darüber eingehend von WERMINGHOFF in diesem Grundriß gehandelt. ?)
Die Basis, die Otto I. für das Kaisertum geschaffen hatte, begann im Investitur-
streit zu wanken. Das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum war ein anderes ge-
worden. Den Ansprüchen des Papsttums gegenüber versuchte dann Friedrich I. das
Kaisertum auf eine andere Grundlage zu stellen durch stärkere Betonung der Fort-
setzung des römischen Imperiums und durch Geltendmachung von Forderungen und
Konsequenzen, die aus der römisch-rechtlichen Auffassung des Imperiums herflossen.
Die Folge ist, daß der staufische Kaiseradler wieder den universalen Flug unternimmt,
gekennzeichnet durch intensivere Verfolgung der Reichsinteressen in Italien, durch
Hinzuerwerben der Herrschaft über Sizilien und ihrer Vereinigung mit dem Kaiser-
tum in Personalunion. Heinrieh VI., der glänzendste Vertreter kaiserlicher Universal-
monarchie, läBt sich von England den Lehnseid leisten, und Friedrich II. gewinnt so-
gar die Krone von Jerusalem.
Doch diese letzte Erwerbung konnte nicht täuschen über den Fall des Kaiser-
tums, der schon bei dem frühen Tode Heinrichs VI. eingesetzt hatte. Die Niederlage
Friedrichs I. in Italien und die Rebellion Heinrichs des Löwen hatten der inneren Kraft
des Kaisertums noch keinen Eintrag getan. Friedrich hat es bewicsen, daB die Reichs-
gewalt noch einen tatsächlichen Inhalt hatte und imstande war, das Reichsgefüge zu-
sammenzuhalten. ,,Die Verfassung des Reiches war noch derart, daB der Kaiser
nieht nur in der Theorie, sondern tatsüchlich den Fürsten gebot."?) Der deutsche
Thronstreit dagegen balanciert wieder das Papsttum über das Kaisertum, und im
Ringen mit Friedrich II. bleibt der Papst Herr der geschaffenen Lage. Gleichzeitig
hat das Kaisertum seine natürlichea Machtmittel verloren durch Verschleuderung des
Krongutes, durch Verlegung des Schwerpunktes nach Italien und dureh Vernach-
lässigung der Reichsinteressen in Deutschland. Der staufische Kaisergedanke zer-
schellt im Interregnum.
Im Innern vollzieht sich die Umwandlung des Beamtenstaates, den Karl d. Gr.
zu sehaffen begonnen hatte, in den Feudalstaat.
Die allgemeine Vereidigung des Volkes fállt in der nachkarolingischen Zeit fort ;
nur noch bei besonderen Anlüssen leistet einmal die ganze Einwohnerschaft eines
Ortes, einer Stadt den Untertaneneid. Dagegen legen die GroBen des Reiches auch
weiterhin den Eid ab. Er ist zunüchst als ein Beamteneid aufzufassen, später als
Lehnseid.
Das Amt wird Lehen und dadurch wird die Grundlage der Verfassung ver-
ändert. Dieser Prozeß erreicht in dem Aufkommen des neuen Reichsfürstenstandes
seinen Höhepunkt. Durch den Rechtssatz, daß der König ein heimgefallenes Reichs-
lehen nicht behalten darf, sondern binnen Jahr und Tag wieder verleihen muß, wird
dem Königtum die Möglichkeit genommen, seine Macht zu stärken, und die Feudali-
sierung wird dadurch dauernd gegen das Königtum sichergestellt. Durch das Lehns-
wesen werden aber öffentliche Gerichtsbezirke und die Untertanen in ihnen dem
Reich unmittelbar entzogen.)
1) HEUSLER, Vfg., S. 136.
2) S. im GrundriB: WERMINGHOFF, Kirchenverfassung im MA. Abschn. IIT, $ 20. 21, 22,
2. Aufl. S. 39, 40, 44 f.
3) L. Wzinawp, FDG. 7, S. 159.
4) v. BELow, D. deutsche Staat des MA., S. 2431.