Full text: Das Königreich Hannover in malerischen Original-Ansichten seiner interessantesten Gegenden, seiner merkwürdigsten Städte, Badeorten, Kirchen, Burgen und sonstigen ausgezeichneten Baudenkmälern alter und neuer Zeit

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Göttingen. 205 
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Das Dichtergrab, welches so lange verschollen war, ist zur Stunde 
noch gänzlich verwahrloft. Der alte Todtengräber meinte, es würde 
dielleicht auf irgend eine Weise bezeichnet worden sein, wären nicht die 
oolitischen Stürme gekommen, bei welchen den Leuten ganz andere Ge⸗ 
danken im Kopfe lägen, als die Erinnerung an vergessene Gräber. 
Dicht an der alten rissigen niederen Mauer des nun erweiterten 
Friedhofes liegt das Grab, fast ganz eingesunken und eingetreten; kein 
Stein, kein hölzernes Kreuz bezeichnet es, nur die Akazie, welche der 
Buchhändler Dietrich gepflanzt streut ihre leichten Blätter drüber hin 
und versöhnend flüstert der Abendwind durch ihre Zweige. Brennesseln 
ind Unkraut überwuchert die Stätte, wo sie den Sänger der Lenore zur 
Ruhe gelegt haben; wie sein gehetztes Leben mit Dornen und Disteln 
reich besäet war, so schießt nun auch das wüste Gestrüpp aus seinem 
»ermoderten Gebein hervor und man kann sich eines schmerzlichen Ein— 
druckes nicht erwehren, wenn man fieht, wie keine liebende Hand sich ge⸗ 
unden, um es wegzuräumen. Die Dornenkrone im Leben, wucherndes 
Ankraut auf dem verlassenen Grabhügel — das ist das Loos des deut⸗ 
schen Poeten. — 
Bei diesem Besuche des Friedhofes vor dem weender Thore habe 
ich Einiges aufgezeichnet, was hier noch nachträglich seine Stelle finden 
möge. 
Die Inschrift, welche ein alter Schreinermeister aus der Umgegend 
von Göttingen auf das selbstgezimmerte Grabmal seines einzigen Soh⸗ 
nes gedichtet, der mitten aus seiner Jugend weggerissen wurde, lautet 
reu wiedergegeben: 
„Nun lieber Vater, die Ihr habt gesorgt für mich mit Treue 
Der Gott, der die Betrübten labt, der wolle Euch erfreuen, 
ANuch dich, o süßes Mutterherz will ich hiermit geseegnen 
ZJoit helfe, daß hinfort kein Schmerz Euch möge mehr begegnen.“ 
Meine Lieben, die ich habe 
Scheuet nicht vor meinem Grabe 
Zehet Alles eitel an 
Ihr wißt nicht, wie es kommen kann. 
Kaum bin ich von Euch gegangen 
dier an diesen fremden Ort 
Da hat mich der Toht umfangen 
Und auf diesem fremden Hof 
Diese Stelle ist mir beschieden 
Sonst währ ich bei Euch geblieben. 
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