132 WEITERBILDUNG DER CARTESIANISCHEN PHILOSOPHIE.
Dictionnaire historique et critique 1695 ‚und 1697 die litterarische Welt in ; ver ı
die lebhafteste Erregung versetzte. Nirgends wohnen die härtesten Gegen- heit‘ aufzel
sätze so nahe bei einander wie im Kopfe Bayles. Er beherbergt neben cartes aufg
stets wachem Zweifelstrieb den regsten Wissenseifer, neben aufrichtiger Wohlan; 4
Gläubigkeit (welche LANGE, ZELLER und PÜnJER mit Unrecht bean- keme Sch
standen) eine dämonische Lust an der Aufzeigung von Widersinnigkeiten en BI
in den Glaubenslehren, neben unbedingtem Vertrauen auf die Unfehl- sind, daß;
barkeit des Gewissens eine vollkommen pessimistische Ansicht über die harten. Lei
Sittlichkeit des Menschen. Seine Stärke ist die Kritik und die Polemik, erste. und
die letztere richtet sich (außer gegen den Fanatismus und die Verfolgung haltınz N
Andersgläubiger) hauptsächlich gegen den Optimismus und die deistische ungewiß Is
Vernunftreligion, welche die christlichen Dogmen für beweisbar oder doch der Wahr!
Glauben und Wissen für vereinbar hält. Die Glaubenslehren sind nicht Stehung de
nur übervernünftig, unbegreiflich, sondern widervernünftig; gerade hierauf beinft, so
beruht die Verdienstlichkeit ihrer Annahme. Die Mysterien des Evan- trachtung:
geliums wollen gar nicht vor dem Richterstuhl des Denkens bestehen, sie der Mense
verlangen blinde Unterwerfung der Vernunft; wären sie Objekte des denkbar d
Wissens, hörten sie ja auf, Geheimnisse zu sein. Man muß also zwischen Wesen sch
Religion und Philosophie wählen, vereinigen lassen sie sich nicht. Für as
jemanden, der von der Unzuverlässigkeit der Vernunft und ihrer einestelle:}
Inkompetenz in übernatürlichen Dingen überzeugt ist, ist es keineswegs unantastbe
ein Widerspruch und eine Unmöglichkeit, etwas, was jene für falsch er- Simmcn A
klärt, dennoch für wahr zu halten; er wird Gott danken für die Wohl- Ch licher
that eines Glaubens, der ganz unabhängig ist von der Klarheit der Objekte dex nr
und seiner Übereinstimmung mit den philosophischen Axiomen. Auch schriften S
in rein wissenschaftlichen Fragen will Bayle, wenn er überall Schwierig- A Sittlich
keiten hervorhebt und Widersprüche nachweist, keineswegs das Wider- Ein Staat |
spruchsvolle als unrichtig, sondern nur als ungewiß hinstellen. Die Sense St
Vernunft — so sagt er, Persönliches verallgemeinernd — vermag nur So’ sc
niederzureißen, nicht aufzubauen, nur den Irrtum aufzudecken, nicht die gut dem C
Wahrheit zu finden, nur Gründe und Gegengründe aufzuspüren, Streit tamsfret &
und Zweifel zu erregen, nicht Gewißheit zu gewähren. So lange sie sich Täuschen
mit der Widerlegung des Falschen begnügt, ist sie kräftig und heilsam, Auch das
wenn sie aber, die göttliche Hilfe verschmähend, darüber hinausgeht, wird doch das
sie gefährlch, wie eine scharfe Medizin, die, nachdem sie das kranke Atheisten,
Fleisch verzehrt hat, auch das gesunde angreift. SC m
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1 So findet er es hinsichtlich des Freiheitsproblems schwer faßlich, wie die Guten ist
Kreatur, die nicht Urheber ihrer Existenz sei, Urheber ihrer Handlungen sein könne, Wahrheit
zugleich aber unzulässig, Gott als Ursache des Bösen zu denken. Er will nur die Leidensch
Unbeweisbarkeit und Unbegreiflichkeit der Freiheit darlegen, nicht sie verwerfen. Denn leuchtung
er erblickt in ihr die Bedingung der Sittlichkeit und hebt hervor, daß die Schwierig- rament.: Gı
keiten; in die sich die Freiheitsleugner versiricken, noch weit größer sind. Dem Deter- Wahrheite:
minismus und Pantheismus des Spinoza zeigt er sich durchaus abgeneigt, i