DER PHILOSOPHISCHE CHARAKTER DER ENGLÄNDER, FRANZOSEN UND DEUTSCHEN. 73
ıulmäßigen Dogmatis- baren Resultate genießen läßt, zugleich aber vor der umstürzenden oder
»sophie des gesunden zersetzenden Wirkung ihrer bedenklichen Paradoxien schützt.
Wenn das bedächtige Fahrzeug der englischen Philosophie nicht
großen Nationen, die gern das Ufer des Konkreten außer Sicht läßt, segelt das Schiff der
‚ant am ausgiebigsten französischen kühn und hoffnungsfroh in das offene Meer der Ab-
elseitig regsamen und straktion hinaus. Begreiflich, daß es den Weg zu den Prinzipien schneller
jeriode bahnbrechend findet, als den von dort zu den Erscheinungen zurück. Freie Bahn,
SP stellt sich: heraus, neue Anfänge, gerade Linien — das ist die Devise des französischen
‚länder zur schlichten Denkens. Was sich der Gradlinigkeit nicht fügt, wird ignoriert oder als
Bniert ist. Frankreich ungehörig bekämpft. Der Strich, den Descartes durch die Welt hindurch
praktischen, Deutsch- zwischen Körper und Geist, den Rousseau zwischen Natur und Kultur
Teimat der Skeptiker, zieht, ist sehr bezeichnend für die philosophische Art ihrer Landsleute.
Realisten, das dritte Der Dualismus ist ihnen durchaus nicht unbequem, er genügt dem Be-
dürfnis der Klarheit, damit ist man zufrieden. Die Antithese steckt dem
en, der mit gewissen- Franzosen im Blute, er spricht und denkt in ihr, im Salon und auf dem
irft; der französische Katheder, im witzigen Scherz und im wissenschaftlichen Ernst. Entweder
ven und Muskeln des A oder nicht-A, ein mittleres giebt es nicht. Die Gewöhnung an Exakt-
„, der ebensoviel von heit und reinliche Analyse erleichtert die Bildung geschlossener Parteien,
an Höhe des Stand- während bei den Deutschen in Politik und Philosophie jeder einzelne
inder beschreibt, der eine Partei für sich bildet. Die Forderung des Aufräumens mit dem
bene Wirklichkeit. Plunder des Bestehenden und das sanguinische Zurückgehen zu den
vähe der Erscheinung, Ursprüngen giebt der französischen Philosophie den Charakter des Un-
ıtzt, liegen selbst im geschichtlichen, Radikalen und Revolutionären. Die Geister zweiten
ärt eine Erscheinung Ranges, die nicht aus eigener Kraft den Schritt vom Gegebenen zur
nde, ohne es zu zer- Quelle zu thun vermögen, bewähren den Radikalismus darin, daß sie das
;n. Bewußtsein. Sein von anderen Begonnene bis zur Wurzel hinaufführen (so Condillac den
und seine. Scheu vor Sensualismus des Locke). Zudem soll das Philosophem in That umge-
ihm genügt, sich an setzt werden; wie der Denker als Doktrinär das Gegebene aufgelöst hat,
em auf den Ehrgeiz so hofft er als Diktator das Vorhandene zu stürzen und eine neue Ord-
ler Achtung vor der nung der Dinge zu gründen, nur daß das mutig Angefangene in der
den ethischen Postu- Praxis ebensobald erlahmt wie in der Theorie,
e in einen Zwiespalt Die glückliche Gabe, ein naheliegendes Problem zu isolieren, welche
zwar ehrlich genug, die beiden besprochenen Nationen auszeichnet, ist dem Deutschen ver-
orechen, weicht aber sagt, er pflegt sein System beim Ei der Leda zu beginnen; dafür vereinigt
laß er die Düfteleien er den frohen Hochflug des Franzosen mit dem zähen Phlegma des
nd im Handeln sich Engländers, d. h. er sucht seine Prinzipien hoch über den Erscheinungen,
Gewissens. überläßt. aber er läßt es nicht bei der Aufstellung von Gesichtspunkten, beim
chten widersprechen- Tonangeben bewenden, sondern führt die Grundsätze mit liebevollem
tät, in der sich der Fleiß und umständlicher Architektonik bis ins einzelne durch. Wenn
rennte Gebiete, der beim Engländer der gesunde Menschenverstand, beim Franzosen das
sen, und wenn die zergliedernde Denken den Ausschlag giebt, so gestattet der Deutsche
erweist sie sich für auch der Phantasie und dem Gemüt ein gewichtiges Wort mitzureden,
ı Vorteil ihrer nutz- doch so, daß die verschiedenen Vermögen gleichzeitig und ineinander