Full text: Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart

Ü EINLEITUNG, 
Überschätzung des Erkennens auf Kosten aller übrigen geistigen Be- dem 
tätigungen, Auch von den griechischen Philosophen sahen viele im herab. 
Denken das höchste, gottähnliche Tun. Doch wurde der Intellek- steht 
tualismus bei ihnen durch das ästhetische und das eudämonistische gegen 
Element gemildert und vor derjenigen Einseitigkeit bewahrt, mit der Höhe 
er in der Neuzeit auftritt, da es hier an einem kräftigen Gegengewicht sind 
fehlte, Baco, so beredt er den Vorteil der Naturbeherrschung anpreist, trageı 
kennt doch und feiert als das Höchste die Forschung um der Forschung aus, 
willen, und selbst die Willensphilosophen Fichte und Schopenhauer der a 
zahlen dem intellektualistischen Vorurteil ihren. Tribut. Wie sehr weise 
namentlich der künstlerische Trieb dem ausschließlich theoretischen das Mitte] 
Feld räumt, ist schon aus dem äußerlichen Umstande ersichtlich, daß was Ss 
die Neuzeit, wiewohl sie in Fichte, Schelling, Schopenhauer, Lotze und halter 
Nietzsche, um Geringerer nicht zu gedenken, hervorragende Stilisten V 
besitzt, einen philosophischen Schriftsteller von der Größe des Platon mang 
nicht aufzuweisen hat. . Wide! 
Wenden wir uns zur Denkungsart des Mittelalters, so tritt uns man) 
da, im Gegensatz zu der ästhetischen Anschauung des Altertums und heit‘ 
der neuzeitlichen Tendenz des reinen Wissens, eine spezifisch religiöse locke] 
Stimmung entgegen. Themata und Grenzen werden der Erkenntnis Gewo 
vom Glauben vorgeschrieben, alles wird aufs Jenseits bezogen, das WEB, 
Denken wird zum Gebet. Man spekuliert über die Eigenschaften Gottes, stisc 
über Zahl und Rangordnung der Engel, über die Unsterblichkeit des in w 
Menschen — lauter transzendente Gegenstände. Daneben findet geübt 
wohl auch das Weltliche liebevolle Beachtung, aber immer nur als der 
unteres Stockwerk*, über dem sich unter eigenen Gesetzen das wahre ist P 
Vaterland, das Reich der Gnade, erbaut. Der subtilste Scharfsinn Nicht 
arbeitet im Dienste des. Dogmas, er soll das Wie und Warum ergründen ande 
für Dinge, deren Daß anderweitig feststeht. Daher eine formalistische Wuns 
Wissenschaft neben einer innigen und tiefsinnigen Mystik. Zweifel und eigen 
Zuversicht schlingen sich wunderlich durcheinander, und ein Gefühl der Philo 
Erwartung bebt durch die Geister, Hier der sündige irrende Mensch, sich 
der, so heiß er sich mühen mag, die Wahrheiten der Offenbarung nur liche: 
halb enträtselt, dort der gnädige Gott, der sich uns nach dem Tode so der | 
entschleiert zeigen wird, wie ihn Adam vor dem Sündenfall geschaut. Be- lingsı 
greifen aber kann nur Gott sich selbst, für den endlichen Geist ist auch Zwec 
die enthüllte Wahrheit Geheimnis, und die Entzückung, die willenlose Wiss 
Hingabe an das Unbegreifliche, der Gipfel der Erkenntnis, In der Wiss 
mittelalterlichen Philosophie blickt das Subjekt zu seinem Objekt, 
a unter 
* Über die Trennung und Verbindung der drei Welten natura, gratia, gloria Vgl. ] 
bei Thomas vgl. Rup. EuckEn, Die Philosophie des Thomas von Aquino und die 1890. 
Kultur der Neuzeit, 1886. Dıista
	        
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