SITTENLEHRE. 447.
anfangs vertretenen Extrem des Individualismus — fast abstoßend wirken
die „Monologen‘ durch den Vorschub, den sie eitler Selbstbespiegelung
jeisten — allmählich zurückgekommen,
In der Sittenlehre! bringt Schleiermacher den fast vergessenen
Güterbegriff wieder zu Ehren. Die drei Gesichtspunkte, nach denen die
Ethik abzuhandeln ist und deren jeder für sich auf eine eigentümliche
> Weise das ganze sittliche Gebiet üarstellt, — Gut, Tugend, Pflicht —
n verhalten sich wie Resultat, Kraft und. Bewegungsgesetz; oder wie Ziel-
hi punkt, Anfangspunkt und Weg zum Ziel. Jede durch das Handeln der
1- Vernunft auf die Natur hervorgebrachte Einigung beider heißt ein Gut;
Sr die Totalität dieser Einheiten höchstes Gut. Je nachdem die Vernunft
- die Natur gestaltend als Werkzeug oder erkennend als Zeichen benutzt,
mn ist ihr Handeln anbildend oder bezeichnend ; es ist ferner entweder gemein.
2; schaftlich oder eigentümlich. Auf der Kreuzung dieser (fließenden) Unter-
schiede des identischen und individuellen Organisierens und Symboli-
. sierens erbaut sich die Gliederung der Güterlehre:
T Gebiete Verhältnisse Güter
O- ident. org.: Verkehr Recht Staat
er indiv. org. Eigentum freie Geselligkeit Stand, Haus, Freundschaft
1g ident, symb.: Wissen Glaube Schule und Universität
st, indiv. symb.: Gefühl Offenbarung Kirche (Kunst). =
N Die vıer sittlichen Eigenschaften, deren jede die organische Vereini-
© gung eines Gegensatzes — Obrigkeit und Untertanen; Wirt und Gäste,
it. Lehrer und Schüler bzw. Gelehrte und Publikum, Geistliche und Laien
ıls — darstellt, haben die Familie und die Nationaleinheit zur Grundlage,
a Die Tugend (das persönliche Einswerden von Vernunft und Sinnlich-
cs keit) ist entweder Gesinnung (belebend) oder Fertigkeit (bekämpfend)
ze und in beiden Fällen entweder erkennend oder darstellend; das gibt die
ch Kardinaltugenden Weisheit, Liebe, Besonnenheit, Beharrlichkeit. Die Ein-
Ch teilung der Pflichten in Rechts-, Liebes-, Berufs- und Gewissenspflichten
© beruht auf dem Gegensatz des Gemeinschaftsbildens und des Aneignens,
As von. denen jedes universell oder individuell sein kann. Die allgemeinsten
Sr Pflichtgebote (Pflicht = der ethische Prozeß als Bewegung) lauten: Handle
DE in jedem Moment mit der ganzen sittlichen Kraft und die ganze sittliche
cn Aufgabe anstrebend, handle mit -allen Tugenden und im Hinblick auf
Sr alle Güter; ferner: Vollziehe jedesmal die für das ganze sittliche Gebiet
% zuträglichste Handlung, worin zweierlei eingeschlossen ist: tue jedes-
ke Sen
Nr * In der PhB, Bd. 85 hatte KIRCHMANN 1870 den ALEX. SCHWEIZERSChen Text
ud, der Philosophischen Sittenlehre aus den „Werken‘ von 1835 abdrucken lassen. In
von der Neuausgabe von 1911 bringt SCHIELE den TwEsTENschen Text von 1841 in besserer
Anordnung, indem er das Vorlesungsmanuskript von ı1812—13 durch Anfang und
Jen Schluß des Mskrpts’ von 1816 einrahmt. Brauns kritische Neuausgabe 1913 siehe
2m oben S. 439.