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man auf fast mathematischem Wege durch Ausschließung
alles Dagewesenen gewinnen kann, und durch das oft ge-
mütlose Spiel einer kühlen Phantasie zu wirken. Ob man
damit aber mehr erreicht, als eben jede Mode, dürfte fraglich
erscheinen. Kunst und Poesie ruhen im Menschen, und
mögen sie nun als kombinierende Erfindung, die sich in den
natürlichen Formen bewegt, oder als bloße geläuterte An-
schauung des Vorhandenen zu Tage treten, mögen sie Ginzel-
erscheinungen in ihre resultierenden Grenzen bannen oder
auf deren Individualitätsbestreben geduldig und wachsam
eingehen, mögen sie, um es mit einem Worte zwar unklarer,
aber populärer auszudrücken, als JdealiSmus oder RealiSmus
auftreten, =- immer können sie nur an einem außer ihnen
liegenden Gegenstande, Gedanken oder Hergang zum Aus-
drucke kommen. Die Eigenschaften aber dieser Objekte, welche
sie beleuchten, können uns keinerlei Aufschluß über die Stärke
des Lichtes geben, unter dessen Wirkung sie aus ihrer Um-
gebung abgehoben, aus ihrer Gewöhnlichkeit zu einer bedeut-
samen Erscheinung isoliert werden. Freilich ist nicht zu
leugnen, daß auch in der Wahl des äußerlich Interessanten,
in der Kombinierung des Gegenständlichen, wodurch Gedichte
mehr oder minder zu einer unterhaltenden Lektüre werden
können, sich ein bestimmter Kunstsinn, ein poetischer Geist,
ein positiver Charakter zu äußern vermögen; doch komplemen-
tiext eine solche dichterische Eigenschast mehr den Schrift-
steller als den Lyriker, für welchen sie nur von sekundärer
Wichtigkeit und durchaus keine elemeniare Bedingung ist.
Die Greif'schen Gedichte werden nun gerade dadurch so
interessant, daß sie entkleidet sind von allen Neben«uosichten,
daß in ihnen eine nur künstlerische Anschauung waltet, die
sich durch nichts beirren läßt, die durch keinen sogenannten
guten Stoff geblendet, durch keine großklingende Phrase, die
sich ihr herausfordernd in den Weg stellen möchte, zu leerem
Batho8 verleitet wird, sondern, sich rein in dichterischen Zwecken