Full text: Adolf Bayersdorfers Leben und Schriften

bewegend, auch das an sich Unbedeutende als erkannten Teil 
eines großen Geistigen durch die Kunst zum höchsten Interesse 
erhebt und allem, worauf sie sich erstre>en mag, eine Bedeut- 
samkeit verleiht, welche die vom Gewande der Poesie nicht 
umflärte Natur nicht hat, wenn sie auch, sei es durch Zufall 
oder durch jene überlegende Anordnung des menschlichen 
Berstandes, die wir so gerne mit der wirklichen Poesie zu 
verwechseln geneigt sind, uns als von Geist und Ordnung 
zu einem höheren Berständnisse erhoben scheinen mag. 
Eigentümlich ist diesem Dichter vor allem die Ver- 
meidung des Leidenschaftlichen. Von der ruhigen oder wenig 
bewegten Oberfläche hofft er mehr in die Tiefe der Erscheinung 
dringen und deren Totalität zu Tage fördern zu können, 
hofft er die vielen feinen, zwischen den Haupttönen liegenden 
Stimmungsunterschiede, von denen er ein besonderer Freund 
ist, zu belauschen. Besonders in seinen kleinen Liedern ist 
die Schärfe zu bewundern, mit welcher eine schnell vorüber- 
gehende Zuständlichkeit erfaßt und zu einem bleibenden Ein- 
drucke von äußerster Wahrheit gefesselt, wie eine Empfindung8- 
nuance von verflüchtigender Feinheit sorgfältig durch ein 
zwei- oder dreistrophiges Gedicht festgehalten wird, ohne daß 
das Bild verrückt, ohne daß der darauf ruhende Duft ver- 
wischt, ohne daß der einmal angeschlagene Ton von einem 
anderen durchbrochen würde. Die zufällige und, wie es scheint, 
plößliche Entstehung solcher tiefgreisender, lange in der Seele 
nachzitternder Klänge mag wohl am gleichgültigen Stoffe, 
an einfachen menschlichen Vorgängen und herkömmlichen 
Naturbildern stattfinden ; denn um solche poetische Anregungen 
zu erfahren, braucht man weder Situationen noch Scenerien 
zu erfinden. Das künstlerische Stilbestreben des Dichters 
reinigt die anregende Natur von allen partikularistischen Zu- 
fälligfeiten und fühlt den individuellen Charakter und die 
natürliche Intention einer Erscheinung auch unter der Masse 
des Nebensächlichen und aller den Totaleindruck trübenden 
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