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die Eigenschaftsbegriffe, mit denen der intuitive Intellekt
arbeitet, transcendentale Auffassungsformen (a priori), unter
denen er die Erscheinungen verstehen lernt, oder ob sie nicht
vielmehr (a posteriori) Produkte der Empirie und unbe-
wußten Übereinkommens, also durch den Mechanismus der
Sinne konkret bestimmte Formen ver allgemeinen Urteils-
fraft seien, so daß die Gleichartigkeit der Wirkung auf die
Individuen nur auf der Gleichartigkeit der Ursachen, nicht
auf einer generellen Intellektanlage beruhen würde. =- In
diesen unerforschten Tiefen des Geistes, wo sich alle Reflexion
verwirrt und der Mensch sich als hilfloses Naturprodukt
empfindet, wo seine Spekulation vergebens am Nabelbande
reißt, das ihn seiner ewigen Mutter verbindet, und stoßweise
sich anstrengt, um objektive Stellung zum menschlichen Sein
zu gewinnen oder doch einen Lichtblitz über dasselbe zu er-
haschen, dort, wo der Philosoph die Zügel verliert und gerne
pantheistischen Phantasien verfällt = dort ist die Grenze
der unangetasteten Freistatt aller Intuition, in welcher der
Künstler, der Dichter schafft. Was8 er dort unten an den
Quellen des Daseins erlauscht, was er der sich offenbaren-
den Natur an ewigen Wahrheiten abgerungen, was er hoch
an die Oberfläche bringt vor die Sinne der Menschen, ist
das Kunstwerk, eine fortgesezte Lösung des Welträtsel8 und
doch selbst ein Rätsel, -- dem Gemüte, das die große Heimat
ahnt, ebenso wahr, als dem Verstande ewig unbegreiflich.
Aus den einfachen und reinen Schöpfungen aber, die aus
der Tiefe der Künstlerseele aufsteigen, sucht der Philosoph
die zusammengeseßten und vermischten zu erfassen bis hinauf
zu jenen kühn und reich verbundenen Werken, die ein ge-
waltiger Geist erstaunlich gefügt. Und de8halb sind es gerade
diese kurzen, tiefgründigen, ohne reflektive Absicht unbewußt
hervorgebrochenen Stimmungslaute unter Greifs Gedichten,
welche die ästhetische Analyse so verlo>end anziehen und sie
hier, wo sie plößlich wie durch ein Naturereiani8 eine weite
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