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schen Periode und Anhänger der Aristotelischen Einheiten,
dieser ästhetischen Trinitäts8lehre, zu dex merkwürdigen Art
gesagt haben, mit welcher Raimund Zeit, Ort und Hand-
lung lediglich als bis zum Exzeß bildsame Kunstmittel be-
nußt, denen er einen künstlerischen Selbstzwe> nicht zuge-
steht, die er als indifferentes Rohmaterial nur nach dem
vorgefaßten poetischen Zwecke formt, -- wenn Voltaire schon
vor dem barbarischen Shakespeare sich hinter seine pretieuse
Urbanität verschanzen mußte, damit Vernunft und Verstand
ihm nicht mit der wohlerkfannten „rohen“ Genialität des
Briten zu fraternisieren anfangen und sich um ein Teil
ihrer hoffähigen Tournure brächten ?
Raimund und seinen Nachfolgern eignet ein absichtlich
betonter, bei reichem Spiel der Gegensätze konsequent durch-
geführter ParalleliSmus der Anlage, der zwar etwas äußer-
licher Natur ist, aber gewöhnlich eine auf erhöhte Bühnen-
wirksamkeit abzielende Disposition stülzt, welche nicht gestattet,
daß von dem gesprochenen Worte dem Zuhörer irgend ein
Teil, weil wirkungslo8 und aus der allgemeinen Spannung
tretend, entschlüpfte, ein sonst herkömmlicher Übelstand,
welchen gänzlich beseitigt zu haben sich keiner dex modernen
Dramatiker rühmen kann. Das Ethos in allen diesen
Stücken wird auf sehr formale Weise durch ein besonderes
fabula docet besorgt (zu dessen Konstruktion der Zuhörer
gleichsam gezwungen wird), durch irgend eine wohlmeinende
oberflächliche Moraldoktrin de dato Zauberflöte, die von
vornherein auf jede Weltverbesserung verzichtet und nichts
weiter ist, als eine Höflichkeit8formel, eine von Zeit zu Zeit
nötig werdende, unterthänige Berbeugung der Wiener Leben8-
lust vor der strengen Mutter Moral, um ungestraft die
Erlaubnis zum Weitertanzen zu erhalten.
Diese fromme Anstandsregel des Wiener Lustspiels
steht schon bei Nestroy mit dem eigentlich wirkenden
Inhalte der Stücke in jämmerlichem Kontrast, und da8
ZG