Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

34 RUDOLPH SOHM: System des bürgerlichen Rechts. 
sachlicher Berechtigung, sondern in den Anforderungen der öffent- 
lichen Ordnung. 
Grund des Die Ordnung des Gemeinlebens verlangt den Ausschluß wie der 
Besitzschutzes. Sa]hsthilfe so jeder Eigenmacht. Wer Eigenmacht übt, soll zunächst, 
d. h. bis er seinen Rechtsanspruch im Wege des vorgeschriebenen Gerichts- 
verfahrens durchgesetzt hat, die Wirkungen seiner Eigenmacht rückgängig 
zu machen, die Besitzstörung zu beseitigen, die durch Eigenmacht ge- 
nommene Sache bis auf weiteres dem früheren Besitzer zurückzugeben 
schuldig sein. Soweit Selbsthilfe zulässig ist (im Notfalle), ist gegen den 
Selbsthilfe (Eigenmacht) Übenden der Besitzanspruch ausgeschlossen (die 
Eigenmacht war keine verbotene). Soweit aber Selbsthilfe verboten ist, 
besteht der Besitzanspruch gegenüber jeder Eigenmacht eines Nicht- 
besitzers. In den Besitzansprüchen vollendet sich das System des Rechts- 
schutzes der Gegenwart. Das Verbot der Eigenmacht, das den Besitz- 
anspruch hervorbringt, steht ergänzend neben dem Verbot der Selbst- 
hilfe. Die possessorische Wirkung der verbotenen Eigenmacht entspringt 
dem Grundgedanken unseres öffentlichen Rechts, daß Zwangsübung (Ge- 
waltübung) gegen eine Person grundsätzlich der Privatperson entzogen 
und dem Staate vorbehalten ist. 
Freiheit im Sinne der Neuzeit ist, von jeder privaten Zwangsgewalt, 
die nicht Familiengewalt ist, frei zu sein. Dem Staate untertan zu sein, 
ist Ausdruck der Freiheit; Zwangsgewalt einer Privatperson ist Minderung 
der Freiheit. Um der Freiheit willen besteht das Verbot der Selbsthilfe 
und um der Freiheit willen besteht der Besitzanspruch. 
Das römische Recht gewährte die Besitzansprüche nur den Herren- 
besitzern. Die römische Freiheit war aristokratischer Natur. Durch die 
deutsche Entwickelung, die im bürgerlichen Gesetzbuche vollendet wurde, 
ist der Besitzesschutz allen Sachbesitzern gegeben worden. Es liegt darin 
eine Erstreckung der Freiheitsrechte zugunsten der breiten bürgerlichen 
Masse. So ist durch die Zuständigkeit des Besitzanspruchs der Mieter von 
privater Zwangsgewalt des Vermieters befreit worden. Auch in den un- 
scheinbaren Besitzansprüchen des bürgerlichen Gesetzbuchs kommt die 
bürgerlich-freiheitliche Kultur der Gegenwart zum Ausdruck. Unser Be- 
sitzrecht ist bürgerlicher, demokratischer Natur. 
B. Das Recht der Schuldverhältnisse. 
Il. Wesen des Forderungsrechts. Mit dem Recht der Schuld- 
verhältnisse eröffnet sich das Vermögensrecht. Das Vermögensrecht zerfällt 
in Schuldrecht und Sachenrecht. 
Inhalt des Das Recht der Schuldverhältnisse ist mit dem Recht der Forderungs- 
due rechte gleichbedeutend. Der Inhalt des Forderungsrechts erschöpft sich 
” darin, daß es eine Schuldverpflichtung hervorbringt. Das Forderungsrecht 
ist nicht das Recht, daß man selber handele, sondern nur das Recht, daß
	        
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