80 RUDOLPH SOHM: System des bürgerlichen Rechts.
der Ehegatte erbfolgeberechtigt. Neben Kindern nimmt er ein Viertel,
neben Eltern, Geschwistern und Geschwisterkindern, auch neben Großeltern
nimmt er die Hälfte der Erbschaft; fernere Verwandte schließt er aus,
so daß ihm allein der ganze Nachlaß zufällt. Eine Verwandtschaftsgrenze
hat das bürgerliche Gesetzbuch für die Erbfolge nicht aufgestellt. Ist
kein Ehegatte da, so kann auch der entfernteste Verwandte Erbrecht
geltend machen. Nur wenn weder ein Ehegatte noch irgendwelche
Verwandte da sind, tritt der Staat (der Fiskus) als Erbe ein.
Erbrecht II. Verfügung von Todes wegen. Das Erbrecht der Ver-
der Familie. wandten und des Ehegatten bedeutet das Anrecht der Familie auf das
Vermögen. Es beruht geschichtlich auf der Vermögensgemeinschaft des
Erblassers mit seinen Hausgenossen (ja einstmals mit allen Sippegenossen),
auf der Tatsache, daß der Erblasser nicht freier Eigentümer seines Ver-
mögens war. Selbst das Erbrecht des Staats hat seinen geschichtlichen
Hintergrund in einem gleichen Rechtsgedanken: in der urzeitlichen Ver-
mögensgemeinschaft aller Volksgenossen, aus der erst durch Aufteilung
das Eigentum der Sippe, dann des Hauses, dann des Einzelnen hervor-
gegangen ist.
Testament und Eine langsam aufsteigende Entwickelung hat das freie Eigentum des
Erbvertrag., Hinzelnen aus ursprünglichem Gesamteigentum hervorgebracht. Der
Schlußstein in dieser Entwickelung ist die Ausbildung der Verfügung von
Todes wegen. Sie bedurfte noch während des ganzen Mittelalters, sobald.
über den Nachlaß als solchen verfügt werden sollte, der obrigkeitlichen
Mitwirkung, der Errichtung vor Gericht, in den Städten vor dem Rat
(daraus sind die Öffentlichen Testamentsformen der Gegenwart ent-
sprungen). Die Mitwirkung der Obrigkeit bedeutete nach mittelalterlichem
Recht die obrigkeitliche Genehmigung. Erst durch die Aufnahme des
römischen Rechts ist das freie Testament aufgekommen, und die Er-
richtung vor der Obrigkeit zu einer bloßen Form, der öffentlichen
Testamentsform, geworden. Neben dem römischen Testament, das ein-
seitig allein vom Erblasser errichtet wird, ist im Anschluß an deutsch-
mittelalterliches Recht der Erbvertrag anerkannt worden, d.h. eine ver-
tragsmäßig den Erblasser bindende Verfügung von Todes wegen (Erbes-
einsetzung, Vermächtnis, Auflage).
So hat denn auch das bürgerliche Gesetzbuch beides nebeneinander:
das Testament als die einseitige, frei widerrufliche, den Erbvertrag als
die vertragsmäßige, unwiderrufliche Verfügung von Todes wegen.
Das Neue im bürgerlichen Gesetzbuch ist die volle Durchführung der
Verfügungsfreiheit des Erblassers über seinen Nachlaß. Das spricht sich
vornehmlich einerseits in der Einführung des eigenhändigen Testaments,
andererseits in der Gestaltung des Pflichtteilsrechtes aus.
Eigenhändiges Das eigenhändige Testament stammt aus dem französischen Recht
Testament. „Ag hatte schon vor dem bürgerlichen Gesetzbuche in dem Gebiet des