WESEN DES RECHTES
UND DER RECHTSWISSENSCHAFT.
N
RUDOLF STAMMLER.
Einleitung. In unabsehbarer Menge reihen sich die Rechte und
Gesetze der Völker aneinander. Es ist eine bunte Fülle, eine mannigfaltige,
stets wechselnde Schar, die hier an unserem Auge vorüberzieht. Wie
mögen sie in Ordnung und Einheit sich fügen? In welcher gleichmäßigen
Methode kann man sie allgemein überschauen und systematisch beherrschen?
Wo ist ein fester Halt der Gedanken, von dessen Standort aus das wilde
Getümmel der Einzelheiten sich kritisch richten und bestimmen 1äßt?
Der erste Versuch einer Antwort auf solche Fragen betrifft wohl zu-
meist das einheimische und das im Augenblicke geltende Recht. Man
sammelt den besonderen Inhalt der einzelnen Satzungen und Einrichtungen
unserer Zeit und unseres Landes, sucht Sinn und Bedeutung und praktische
Sonderfolgen der technisch geformten Paragraphen des gesetzten Rechtes
klarzulegen und die vielverschlungenen positiven Normen übersichtlich
darzustellen.
Doch was ist es denn, das also hier sich eingefunden hat? — Nun, Rechtsbegriff.
die „rechtliche“ Regelung dieses Gemeinwesens. — Aber woran erkennt
man, ob eine Norm hierher gehört und nicht vielmehr einem anderen
allgemeinen Begriffe, als dem des Rechtes, zu unterstellen ist? Was ist
das „Recht“?
Es würde nicht ausreichend sein, zur Beantwortung dieser Frage eine
gewisse äußere Beschreibung von Regeln zu versuchen, die im großen
und ganzen — nach einer Art stillschweigender Verabredung einer An-
zahl von Schriftstellern — als „rechtliche“ Sätze bezeichnet werden; denn
dieses würde keine sachlich genügende Abgrenzung noch Begriffs-
bestimmung sein und könnte die Gewähr der Vollständigkeit nicht über-
nehmen: weder für den beschriebenen Gegenstand, noch in dessen hervor-
gehobenen Eigenschaften. Und es geht nicht an, den Begriff „des“
Rechtes etwa aus gehäufter Aufzählung von besonderen Rechts-
erfahrungen herausziehen zu wollen; da doch jede einzelne „rechtliche“
Tatsache schon eine eigene Anwendung des allgemeinen Begriffes „des“
Rechtes ist und diesen deshalb zu ihrer Feststellung logisch voraussetzt.
Statt dessen ist nötig, das Ganze der sozialen (nicht: der „rechtlichen“)
DIE KULTUR DER GEGENWART. II. 8.
Vo.