120 VICTOR EHRENBERG: Versicherungsrecht,
‘I. Die Privatversicherung. Die auf Selbsthilfe der gefährdeten
Personen beruhende sog. Privatversicherung. ist die bei weitem ältere Art
der Versicherung, sie ist diejenige, welche bis vor wenigen Jahrzehnten
allein’ gebräuchlich war.
Geschichte der Der Gedanke, sich mit Hilfe anderer Personen gegen drohende wirt-
Versicherung, schaftliche Gefahren zu sichern, mußte schon in früher Zeit auftauchen.
Die Gemeinschaft der Gefahr führte leicht zu genossenschaftlichen Ver-
bänden, deren Mitglieder sich wechselseitig Beistand gelobten oder durch
regelmäßige Beiträge einen gemeinschaftlichen Ersatzfonds (Hilfskasse)
bildeten. Schon dem Altertum nicht unbekannt waren diese Verbände
bald‘ lockerer, bald fester geknüpft, bald nur für vorübergehende Unter-
nehmungen, bald für die Dauer berechnet, bald nur gegen einzelne Ge-
fahren, bald allgemein zu Unterstützungszwecken gegründet. In dem Gilden-
und Bruderschaftswesen des Mittelalters haben sie unter christlichen und
germanischen Einflüssen eine große Verbreitung gefunden, und es ist
Charakteristisch, daß die Gilden diese ihre Hilfsinstitute auch Nichtmitgliedern
gegen eine besondere Gebühr zugänglich machten.
_ Indessen, obwohl diese genossenschaftlichen Verbände das spätere
Versicherungswesen in mehrfacher Hinsicht fruchtbar beeinflußt haben, so
sind die eigentlichen Wurzeln der modernen Versicherung‘ doch in ihnen
nicht zu suchen. Diese ist entstanden seit dem Ausgang des 13. Jahr-
hunderts in den Küstenländern des Mittelländischen Meeres, und zwar
rein zu Erwerbszwecken; schon in:der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
hat das Versicherungsgewerbe hier eine große wirtschaftliche Bedeutung
erlangt. Die großen Gefahren der Seeschiffahrt, insbesondere auch die
Piratengefahr mußten für die Reeder und Kaufleute die Abwälzung dieses
Risikos auf solvente dritte Personen erwünscht erscheinen lassen, natürlich
gegen ein beträchtliches Entgelt, als ein für diese Personen sehr gewagtes,
aber im Glücksfalle sehr einträgliches Geschäft. Und das war. nichts Un-
erhörtes. Seit vielen Jahrhunderten war es üblich, daß Kapitalisten durch
Gewährung eines sog. Seedarlehens (foenus nauticum) die Seegefahr einer
kaufmännischen Unternehmung gegen Anteil am Gewinne auf sich nahmen,
indem die geliehene Summe nur im Falle des Gelingens, dann aber unter
Zuschlag einer hohen Prämie (sog. Zinsen) zurückgezahlt werden sollte:
die Zinsen bildeten den fixierten Anteil des Kapitalisten an dem Gewinne.
In der Tat kleideten sich die ersten Seeversicherungspolicen, die sich
in den Genueser Notariatsarchiven erhalten haben, in die Rechtsform des
Seedarlehens, und erst als auch dieses Geschäft dem kanonischen Zinsen-
verbot unterstellt wurde, entwickelte sich die Versicherung zu einer selb-
ständigen Vertragsart, verbreitete sich rasch über sämtliche europäische
Küstenländer des Mittelländischen Meeres und durch spanische und
italienische: Kaufleute auch nach den Niederlanden. In den nördlichen
Ländern hat das Versicherungswesen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts
Boden gefaßt und erst mit dem Aufblühen des direkten atlantischen Handels