Einleitung. HI
finden. So muß auch die Lösung in einer eigenen grundlegenden
Methode beschafft werden, deren Verfolgung von dem Darlegen des be-
sonderen Inhaltes dieser oder‘ jener Rechtsordnung unabhängig‘ ist.
Man wird der uns gestellten Aufgabe nur genügen können, wenn man in
kritischer Selbstbesinnung die empirischen Daten des sozialen Bewußt-
seins zergliedert und die formalen Bedingungen klarlegt, unter deren
einheitlicher Verwertung allein eine Antwort auf die eben genannten drei
Fragen möglich erscheint. Das System der 'also überall vorausgesetzten
Bedingungen gegenständlicher Rechtserkenntnis,. seine theoretische Be-
deutung und praktische Anwendung bilden nun des genaueren den Gegen-
stand unserer Betrachtung.
Die dadurch geforderte Besinnung ist in ihrem Grunde eine Aufgabe
des wissenschaftlichen Denkens. Sie bedarf des bewußten Heraus-
schälens der Grundfrage, des Handhabens einer kritisch gefesteten Methode,
der Stütze einer allgemeingültigen Theorie. Ohne das mögliche
Zurückgehen auf eine einheitliche Grundlehre muß jedes richtende
Urteil, das irgendwie in rechtlichen Dingen ergeht, bloß von subjek-
tivem Werte sein und der objektiven Begründung ermangeln. Im
gewöhnlichen Leben beruft man sich zwar häufig auf sein „Rechtsgefühl“, „Rechtsgefühl“.
Aber das würde nur heißen können, daß jemand ein allgemeingültig
richtiges Urteil über rechtliche Fragen ganz „von :selbst“ aus seiner
„geistigen Organisation“ her bekäme. Es wäre jene Berufung im Kerne
also nur die Angabe einer mystischen Herkunft eines angeblich begrün-
deten kritischen Urteiles, aber keineswegs eine systematische Begründung
dieses letzteren selbst, das vielmehr jeder Anzweiflung der (hierbei er-
fahrungsmäßig zahlreichen) Gegner schutzlos preisgegeben sein. müßte.
Die Frage nach Begriff und Begründung des Rechtes, wie die Aufgabe,
worin der Gedanke der ausgleichenden Gerechtigkeit, das ist der grund-
sätzlichen Richtigkeit eines rechtlichen Wollens, sein sachliches Merkmal
habe, wird durch jene Aufstellung einer unerklärten und rätselhaften Ent-
stehungsweise nicht beantwortet. In der Tat bekommt aber auch kein
Mensch die allgemeingültigen Gedanken über Recht und Gerechtigkeit
mit auf die Welt. Sie werden von jedem einzelnen unter vielen besonderen
Eindrücken erst erworben. In’ diesem Sinne heißt ‚das viel berufene
„Rechtsgefühl“ nichts anderes, als: zufällig und unvollständig zusammen-
geraffte Rechtskenntnis und Rechtsbeurteilung.
Dem gegenüber ist es ja weithin bekannt, wie unsere Probleme seit
alten Zeiten das Nachdenken der Menschen in eindringlicher Weise be-
schäftigt haben. Von besonderem Interesse sind für die Kultur der.
Gegenwart drei Grundrichtungen, die eine Antwort auf die vorhin’ ge-
schilderten Aufgaben zu liefern unternommen: Das Naturrecht, die historische
Rechtsschule und die materialistische Geschichtsauffassung. Wir wollen
zuerst diese drei verschiedenen Theorien über das Wesen ‚des Rechtes
erörtern.
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