A. Frühere Rechtstheorien. II. Die historische Rechtsschule. IX
Urding außerhalb des Wandels der geschichtlichen Daten aufgestellt,
sondern als gemeinsame Eigenschaften, die sich aus einem bestimmten
sozialen Leben heraus auf Grund gewisser Anlagen gebildet haben, durch
historisch gegebene und sich entwickelnde gesellschaftliche Verhältnisse
beeinflußt sind und sich im Laufe der Geschichte unaufhörlich verändern.
In solche bedingte und geschichtlich wechselnde Art eines sozialen
Lebens finden wir den einzelnen hineingestellt. Ihr entnimmt er in starken
Eindrücken die Weise seines Daseins. Sprache, Sitte, Recht treten ihm
aus. der Verbundenheit mit anderen in bestimmenden Einwirkungen ent-
gegen, sie selbst, als Äußerungen geschichtlichen Gemeinschaftslebens,
historisch bedingt und stetem Wechsel, nimmer rastender Veränderung
unterworfen. Und diesem Gemeinschaftsleben gibt wieder ein jeder sein
Teil einwirkend und ändernd zurück, ein jeder in seiner Lage recht ver-
schieden wohl in Stärke und Art, und doch ein jeder. So sind es für
die besondere Betrachtung unübersehbare Komplikationen, in denen die
Einwirkung des sozialen Lebens auf den einzelnen und die Rückgabe
des Seinigen an die Gesellschaft sich vollzieht, aber für die methodische
Erwägung der Herkunft gemeinsamer Charakterzüge ist es allein der
Gedanke werdender Eigenschaften von einzelnen Menschen, der hier
den ordnenden Ausblick uns gibt.
Es wäre gewiß verkehrt, wenn jemand sich das Gemeinschafts-
leben der Menschen nur als eine Summierung von isoliert gedachten
Individuen vorstellen wollte. Aber es ist auch nicht veranlaßt, die
soziale Art des Menschendaseins selbst zu hypostasieren und den
summierten einzelnen als eigenes Lebewesen gegenüberzustellen, das
in jenen nun notwendig gemeinsame Überzeugungen bewirke. Nein, es
ist eine qualitativ eigene Einwirkung sozial verbundener Individuen
aufeinander, und der Gedanke dieser wechselseitigen Einwirkung genügt
vollständig, um das Werden gemeinsamer Charakterzüge bei den einzelnen
Mitgliedern einer Gesellschaft wissenschaftlich zu erklären, oder doch
deren natürliche Erklärung als methodisch möglich erscheinen zu lassen,
mag immer die konkrete Klarlegung dieses oder jenes genetischen Zu-
sammenhanges bei der Betrachtung von besonderem Material der Rechts-
geschichte allzu große Schwierigkeiten der Lösung bereiten.
Die wechselseitige Reibung, deren eigenartiges Walten bedeutsam
auf die einzelnen Gemeinschafter wirkt, vollzieht sich keineswegs bloß
innerhalb eines bestimmten Volkes. Die nationalen Eigentümlichkeiten
wechseln auch gerade aus internationalen Mischungen her. Je mehr
sich namentlich das soziale Leben der modernen Kulturvölker in über-
einstimmender Weise gestaltet, um so größere Bedeutung haben die durch
die Nationen gleichmäßig hindurchlaufenden Klassen erhalten, in denen
verwandte Charakterzüge, Ansichten und Bestrebungen in internationaler
Übereinstimmung auftreten. Und darüber hinaus gibt es einen weiteren
Schritt der Gedanken. Gewiß fühlt sich ein jeder als einer, der zu einem