V. Kirchen und Staat. 273
und folgeweise Verbindung, ihre Verschiedenheit und folgeweise Lösung.
Innerhalb beider Grundtypen liegen die konkreten Ausgestaltungen und
Übergangsformen, deren geschichtlich abgeschlossenen Resultate oder
im positiven Recht der Gegenwart ausgeprägten Darstellungen man als
„kirchenpolitische Systeme“ bezeichnen kann. Dieser Art haben sich auf
der Linie der Einheit und Verbindung die kirchenpolitischen Systeme des
Kirchenstaatstums, des Staatskirchentums und des Staatschristentums ent-
wickelt, auf der Linie der Verschiedenheit und Lösung die Systeme der
Koordination, der Staatskirchenhoheit und der Trennung von Staat und
Kirche. Unter diesen Systemen hat seit Ende des 18. Jahrhunderts je
länger je bestimmter dasjenige der Kirchenhoheit des Staates, als die
grundsätzlich auf der sachlichen Scheidung der Zuständigkeits-
gebiete beider Gemeinschaften beruhende Verhältnisordnung von Staat
und Kirche, den positiv rechtlichen Entwickelungsgang in Deutschland
bestimmt. Es ist hier auch heute das herrschende kirchenpolitische
System.
Ein korrekter wissenschaftlicher Aufbau würde im folgenden den Vor-
rang der geschichtlichen Frage vor dem geltenden Recht bedingen. Ich
stelle indessen mit bestimmter Absicht die Grundzüge des letzteren in ge-
drängter Kürze voran. Denn die Ziele der Entwickelung und in ihnen
die Aufgaben der Gegenwart sind dergestalt unmittelbare Folgerungen
der Vergangenheit, daß es hier aus inneren Gründen sich empfiehlt, Ge-
schichtliches und Prinzipielles nicht zu trennen.
I. Grundzüge des geltenden Rechts. Man bezeichnet mit Positiv-rechtliche
Kirchenhoheit (Jus circa sacra) den Inbegriff der dem Staate als solchem Gestaltung der
auf dem Grunde seiner allgemeinen Staatshoheit über alle Kirchen- und
Religionsgesellschaften innerhalb des Staatsgebiets zukommenden Rechte.
Diese gliedern sich ihrem Inhalte nach zufolge einer bereits an den West-
fälischen Frieden anknüpfenden Entwickelung in das sog. Reformations-
recht, das Oberaufsichtsrecht und das Schutzrecht.
= Das gegenüber dem älteren geschichtlichen Begriffe erheblich ein- Reformations-
geschränkte Reformationsrecht des Staates begreift im gegenwärtigen °cht.
Sinne ein Doppeltes: das Recht der Aufnahme neuer und das Recht
der staatsrechtlichen Differenzierung der bestehenden Kirchen-
und Religionsgesellschaften. Hinsichtlich des ersteren, also der Neu-
bildung von Religionsgesellschaften kreuzen sich im geltenden Recht
zwei verschiedene Systeme. Nach dem einen besteht die volle Freiheit
der Vereinigung zu Religionsgesellschaften. Diese Freiheit bildet dann
lediglich einen Bestandteil der gesetzlich gewährleisteten Vereinsfreiheit.
Die Bildung neuer Religionsgesellschaften kann sich hiernach in den
Formen und unter den Bedingungen, welche für öffentliche Vereine über-
haupt vorgeschrieben sind, vollziehen. So beispielsweise in Preußen. In
anderen Staaten ist die Neubildung von Religionsgesellschaften an das
Erfordernis ausdrücklicher staatlicher Genehmigung geknüpft, welche ihrer-
DIE KULTUR DER GEGENWART. IL. 8.
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