288 WILHELM KAHL: Kirchenrecht.
unmittelbar verfassungsmäßige Reichskompetenz in Religionssachen. Die
Versuche, eine solche zu begründen, sind seit dem Konstituierenden
Reichstage bis zu den jüngsten Verhandlungen über den Toleranzantrag‘
stets gescheitert an dem grundsätzlichen Verhältnis von Reich und Einzel-
staaten... Aber selbst wenn es der Macht einer politischen Partei gelänge,
eine teilweise unmittelbare Reichskompetenz für einzelne paritätische
Rechtsverhältnisse durchzusetzen, so liegt darin noch lange kein Beweis-
moment für die reichsgesetzliche Durchführbarkeit der Trennung von Staat
und Kirche. Denn bei ihr handelt es sich um etwas unvergleichlich
anderes. Sie würde die grundsätzliche, die totale und radikale Beseiti-
gung des bestehenden Landeskirchenrechts bedingen. Kein Realpolitiker
wird ernsthaft mit dieser Möglichkeit rechnen. Sie wäre schon nicht mehr
der Ausdruck eines Bundesstaatsverhältnisses, sondern das Anzeichen seiner
Auflösung und des Überganges zum Einheitsstaat. Eben hierin liegt einer
der vielen Unterschiede im Vergleich zur Lage der Dinge in Frankreich.
Da hatte es die Staatsgesetzgebung nur mit der Aufräumung eines auf
einheitlichen Rechtsquellen beruhenden Staatskirchenrechts zu tun. In
jener geschichtlichen Gebundenheit ‘liegt ebenso die grundlegende Ver-
schiedenheit im Vergleich zu Nordamerika. Hier wurde das System der
Trennung von Staat und Kirche sofort im Anfang der Staaten- und
Kirchengründung eingeführt. Ein intimer geschichtlicher Assimilations-
prozeß war von vornherein abgeschnitten. Wir aber können nicht heute eine
vielhundertjährige Vergangenheit, in welcher der Staat und die Kirchen sich
eng ineinander verschlungen haben, einfach ignorieren und ein kirchenpoli-
tisches System, selbst wenn es vom Standpunkte der Theorie uns noch so preis-
würdig erscheinen sollte, durch Rechtssatz in die Entwickelung hineinstellen.
Einwirkung Aber auch wenn man sich die Entwickelung der Dinge so denken
chen En wollte, daß im Wege allmählicher Umbildung des Landeskirchenrechts die
regiments. Irennung von Staat und Kirche zu vollziehen sei, so steht dem doch ein
zweites, durch die Gesetzgebung nicht zwangsweise zu beseitigendes
Hindernis im Wege: die Tatsache des landesherrlichen Kirchen-
regiments über die evangelischen Landeskirchen. Von dem freien Ver-
zichte darauf würde die Durchführbarkeit des Systems schlechthin ab-
hängen. Welche Rückwirkung die Vernichtung des Landeskirchentums
auf das evangelische Kirchenwesen selbst ausüben würde, ist eine Frage
für sich. Es fehlt in der evangelischen Kirche nicht an solchen, welche
die Verantwortlichkeit dafür zu tragen bereit sein würden, ja in hellem
Unverstand die Entwickelung dahin zu treiben sich bemühen. Aber das
Eintreten jener Voraussetzung selbst ist so nebelhaft, daß es mit keiner
Wahrscheinlichkeit in eine kirchenpolitische Zukunftsrechnung eingestellt
werden kann. Ein Verzicht der deutschen Landesherren auf ihr Jus in
sacra ist nicht zu erwarten.
Unmöglichkeit . Endlich aber steht der Trennung die Notwendigkeit einer umfassenden
as thrandee Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Staat und den Kirchen
setzung.
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