SIAATSRECHT.
Von
PAUL LABAND.
Einleitung. Wie auf jedem Gebiete des gesamten Rechtes eine Beschränkung
wechselseitige Einwirkung der Kulturvölker stattfindet und die Rechts- ae Rn
entwickelung jeder Nation durch die Rezeption fremden Rechtes be- Staatsrecht.
fruchtet und gefördert wird, so ist auch die geschichtliche Entwickelung
des öffentlichen Rechtes nirgends eine in dem Sinne nationale, daß sie
völlig isoliert von den Rechtszuständen anderer Staaten sich vollzieht und
nur aus sich selbst verstanden werden kann. Für die Entwickelung des
Verfassungsrechts ist diese Einwirkung fremder Rechtsbildungen vielleicht
noch eingreifender und offensichtlicher als für irgendeinen anderen Zweig
des Rechtes. Welches fremde Recht zu einer gegebenen Zeit diesen
mächtigen Einfluß äußert, hängt von politischen Verhältnissen, historischen
Ereignissen, geistigen Richtungen ab; es gibt dafür keine Regel, sondern
nur eine geschichtliche Feststellung. Die Geschichte des deutschen Staats-
rechts zeigt für gewisse Entwickelungsstufen desselben die Einwirkung
des italienischen, römischen, französischen, englischen, ja selbst nord-
amerikanischen Rechtes in freilich sehr verschiedener Stärke. Dazu kommt,
daß je lebhafter der geistige und wirtschaftliche Verkehr unter den Völkern
wird, desto mehr sich die Tendenz einer Ausgleichung geltend macht, so
daß eine ansehnliche Masse bedeutungsvoller Rechtsvorstellungen und
Rechtseinrichtungen als ein gemeinsamer Besitz aller zivilisierten Völker
und für die „Kultur der Gegenwart“ charakteristisch anzusehen ist. Daher
drängt sich gerade für das Verfassungsrecht die Rechtsvergleichung auf;
die Wissenschaft ist bemüht, in den fremden Rechten die Keime und
Wurzeln des eigenen nachzuweisen und den einheimischen Rechtsinstituten
gleichartige bei anderen Völkern an die Seite zu stellen. Die Resultate
dieser Forschungen sind vom historischen Standpunkt aus sehr bedeutend
und interessant; je mehr man aber in die positive Ausgestaltung der
einzelnen Rechte eindringt, desto deutlicher erkennt man, daß die schein-
bar übereinstimmenden Rechtsideen doch überall eine andere Ausprägung
erhalten haben und daß die scheinbar gleichen Institutionen je nach ihrem
Zusammenhang mit anderen Einrichtungen, nach den Eigenheiten und An-
lagen des Volkscharakters und nach der Art ihrer Aufnahme in das
Rechtssystem von sehr verschiedener staatsrechtlicher und politischer Be-
deutung sind. Das englische, belgische, preußische Königtum, der eng-