422 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht II (Polizei und Kulturpflege).
und zwar ihrer Männer behandeln heißt. Daß daneben den Staat auch die
Pflicht trifft, die Schwächsten der Schwachen zu beschützen; daß er diese
Pflicht bisher schmählich außer acht gelassen hat und außer acht lassen
wird, solange er, was ihm die männliche Arbeiterschaft für den Bereich
ihrer Interessen bereits abgewöhnt hat, mit fiktiven „Freiheiten“ und
fingierten „stillschweigenden Zustimmungen“ rechnet; daß Recht und Praxis
auf diesem, sowie auf mehreren Gebieten des Sexualrechtes bisher ein
System von Lüge, Heuchelei und Grausamkeit sind, das mußte, wie es
scheint, den Machthabern unserer „Kultur“ erst durch einige mutige
Frauenvereine gesagt werden, deren Agitationen das 20. Jahrhundert
gewiß große Erfolge bringen wird. Vorläufig ist als erfreuliches Ergebnis
derselben ein internationaler Vertrag zur Bekämpfung des Mädchenhandels
zu verzeichnen. Wie vieles läßt sich in dieser Hinsicht mit leichter Mühe
noch tun, den guten Willen freilich vorausgesetzt!
Sozialpolitik Die zweite Gruppe der Sozialpolitik ist eine bestimmte Richtung der
im Finanzwesen 7 ogernen Finanzpolitik.
Das neuere Steuerrecht legt nicht mehr, wie das früher üblich war
in Form der indirekten Steuern die stärksten Lasten auf die schwächsten
Schultern, sondern es stuft, freilich unter Beibehaltung der alten indirekten
Steuern, die Lasten sorgfältig nach dem Maß der Leistungsfähigkeit ab
und geht daher zur Einkommen- und Vermögenssteuer und zum progres-
siven Steuerfuß über. In ähnlichem Sinn hat man die Gebührentarife für
die Benutzung der öffentlichen Anstalten, Post, Eisenbahn, Schule, Kranken-
haus usw. sehr herabgesetzt, ja vielfach stuft man die Gebühr nicht mehr
bloß ab nach dem Maß der Benutzung, sondern auch nach dem Vermögen
des Benützenden, Vereinzelt kommen schon Steuern, insbesondere Erb-
schaftssteuern, mit der ausgesprochenen Absicht vor, dadurch die Ver-
teilung des Vermögens zu beeinflussen. Im Zusammenhang damit ist man
daran, den viel zu weit ausgedehnten Kreis der erbberechtigten Personen
zu beschränken.
Sozialpolitik Auch die Kommunen folgen vielfach dieser Politik in ihrem Bereich,
N Verstoälchung mit zum Teil eigentümlichen Mitteln (Wertzuwachssteuer).
und Die dritte ebenso wichtige Gruppe von Sozialpolitischen Maßregeln
Verstadtlichuns ist die schon jetzt ins großartige gediehene Verstaatlichung bzw. Kom-
munalisierung von Betrieben, teils mit, teils ohne Monopolisierung. Diese
mit dem System des Liberalismus wohl in allerschärfstem Gegensatze
stehende Richtung knüpfte an einzelne noch aus früherer Zeit übrig-
gebliebene Regalien und Monopole an, wie das Post-, Telegraphen-, Salz- und
Tabakmonopol, die ursprünglich natürlich rein zu finanziellen Zwecken ein-
geführt worden waren. Ihnen fügten sich der staatliche Betrieb der Eisen-
bahnen und anderer Verkehrswege an; Branntwein-, Zündhölzchen -Monopole
wurden in mehreren Staaten geschaffen, Staatsbanken mit Monopolisierung
des Banknotenwesens traten ins Leben, auch sonstige Zweige des Bank-
wesens (Postsparkasse), selbst einzelne Gewerbszweige wie Druckereien,