Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

428 FERDINAND VoN MARTITZ: Völkerrecht, 
funden und damit die unerläßliche Grundlage für eine spezifische Kultur 
geschaffen hat. Naturvölker gehören dem internationalen Verbande nicht 
an. Aus den Regeln, die für den rechtlichen Verkehr innerhalb der 
Staatengesellschaft hergebracht sind, können sie Rechtsansprüche für sich 
nicht herleiten. Aus der Nichtbeachtung solcher Regeln erwächst ihnen 
keine völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Die Jagdreviere und Weide- 
bezirke, in denen sie hausen, sind völkerrechtlich herrenlos. Ihre Stamm- 
häuptlinge sind nicht Souveräne, deren Boten nicht gesandtschaftliche 
Personen, die Eingeborenen nicht Staatsangehörige und ihre Kämpfe 
nicht Kriege. Auf welchem Fuße sie eintretendenfalls zu behandeln seien, 
darüber entscheidet Recht, Religion, Kultur, Politik des Staates, der mit 
ihnen in Berührung kommt oder ihre Siedelungen seinem Territorium 
einverleibt oder angliedert. Auch mögen Staaten ihnen gegenüber ein 
gemeinsames Verhalten befolgen oder vereinbaren. Aber Verträge, die 
mit ihnen geschlossen werden, kommen nicht als Staatsverträge in Be- 
tracht, und militärische Expeditionen, die. gegen sie unternommen werden, 
stellen keinen Kriegszustand nach Völkerrecht dar. Das Völkerrecht, das 
ihnen unbekannt ist, gilt nicht für sie. Das Völkerrecht ist gegenseitiges 
Staatenrecht, aber nicht universelles Menschenrecht. 
Die Staaten des Indessen auch innerhalb der gegenwärtig bestehenden Staatengesell- 
Pam schaft sind doch nur die zivilisierten Staaten, d. h. die Länder christlich- 
europäischer Gesittungsformen, die vollberechtigten Glieder des völker- 
rechtlichen Verbandes. Die Reiche des Islam haben erst allmählich und 
widerwillig das Bedürfnis ihm sich anzuschließen empfunden. Ihre Ver- 
flechtung in. den Interessenkreis der führenden Mächte, ihre Anerkennung 
der Überlegenheit abendländischer Machtorganisation und Wirtschafts- 
politik legte es ihnen immer dringender nahe, sich auch die Garantien 
der europäischen Rechtsordnung zu verschaffen. Die Kriege, die sie zu 
führen hatten, und die im Bruche mit ihrer Glaubensregel unkündbar ge- 
schlossenen Friedens-, Freundschafts- und Handelstraktate, die Bewilligung 
fremder Konsularjurisdiktion und die Anknüpfung ständiger diplomatischer 
Beziehungen bedeutete für sie den Eintritt in die europäische Staaten- 
gemeinschaft. Nur freilich bei dem tiefen und bewußten Gegensatz, der 
ihre Kultur von der des Abendlandes scheidet und bei der immer klarer 
hervorgetretenen Inferiorität dieser Kultur ist der Eintritt nicht auf dem 
Boden der Gleichberechtigung erfolgt... Sie haben eine weitgehende Über- 
wachung, Kontrolle, Bevormundung, Einmischung der Großmächte über 
sich ergehen lassen müssen. Ihre Regentenhäuser sind nicht in den Kreis 
der europäischen Dynastien eingetreten und das Fremdenrecht, das ihnen 
auferlegt worden ist, läßt sie als Völkerrechtssubjekte zu gemindertem 
Rechte erscheinen. Vorangegangen ist das türkische Reich. Der im 
Februar 1535 zwischen dem Großherrn und dem Könige von Frankreich 
abgeschlossene Handelsvertrag hatte zum erstenmal regelmäßige Ver- 
kehrsbeziehungen zu der Christenheit angeknüpft. Sie erweiterten sich im
	        
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