A. Der völkerrechtliche Verband. I. Geltungsgebiet des Völkerrechts. 429
17. und 18. Jahrhundert durch die nach diesem Vorgange in großer Zahl
vereinbarten Kapitulationen, welche andere Länder, vornehmlich Groß-
britannien und die Generalstaaten, Venedig und Österreich, sowie die
Nordmächte, Schweden, Polen, Rußland, Preußen auch für sich erlangten.
In Anlehnung an Frankreich wurde die Türkei zu einem alsbald nicht
mehr gefürchteten, sondern geduldeten, weniger durch eigene Kraft als
durch die gegenseitige Eifersucht der Mächte aufrechterhaltenen und
immer fremdartig gebliebenen Gliede der europäischen Staatenfamilie.
Sie ist in dieselbe auch formell aufgenommen worden, zunächst durch den
von ihr mit den fünf Mächten über die Schließung der beiden Meerengen
für fremde Kriegsschiffe am 13. Juli 1841 abgeschlossenen Kollektiv-
vertrag, sodann, in einzigartigem Vorgang, durch solenne Erklärung des
Pariser Friedens vom 30. März 1856. Für den zweiten mohammedanischen,
freilich schiitischen Großstaat, das Reich des persischen Schahenschah,
gehen vertragsmäßige Verkehrsbeziehungen mit den europäischen West-
mächten bis in den Anfang des ı8. Jahrhunderts zurück. An den in den
Jahren 1708/15 mit der Krone Frankreichs aufgerichteten Freundschafts-
und Handelsvertrag schlossen sich Verträge mit Großbritannien und mit
dem allezeit rivalisierenden russischen Nachbar. Der persisch - russische
Friedensvertrag von Turkmantschai vom 22. Februar 1828 wurde normativ
für die zahlreichen Konventionen mit den anderen Mächten, durch welche
sich die Anerkennung Persiens als eines Mitgliedes des völkerrechtlichen
Verbandes stillschweigend vollzogen hat. Endlich für das islamitische
Reich des äußersten Westens, das Sultanat Marokko, hat erst ein auf der
Konferenz der Mächte zu Madrid am 3. Juli 1880 aufgerichteter Kollektiv-
vertrag die wichtigsten Beziehungen des noch unerschlossenen Landes zu
den Vertragsstaaten, denen die Behandlung auf dem Fuße der Meist-
begünstigung zugesagt wurde, spezialisierend geregelt.
Anders als die vorgenannten Staaten haben die beiden großen, im Der
Besitze einer alten und abgeschlossenen fremdartigen Kultur befindlichen guBereie DECnG
Reiche des östlichen Asiens den Eintritt in die Rechtsgemeinschaft der
abendländischen Welt genommen. Auch hier ist es freilich eine gemein-
same Aktion der Mächte gewesen, die im Laufe des ı090. Jahrhunderts zur
Öffnung der verschlossenen Grenzen durch Abschluß von KEinzelverträgen
geführt hat. Aber diese Aktion hat kriegsmäßige Gewalt anwenden
müssen, um zu den Verträgen zu gelangen und deren Aufrechterhaltung
zu sichern. China hat durch den Friedens-, Freundschafts- und Handels-
vertrag zu Nanking mit Großbritannien vom 20. August 1842, welchem
die Verträge von Tientsin des Jahres 1858 mit Großbritannien, Frankreich,
Rußland und den Vereinigten Staaten von Amerika folgten, eine im Laufe
der Zeit vermehrte Zahl von See- und Flußhäfen dem internationalen
Verkehr eröffnet, die Zugänglichkeit des Landesinneren unter Paßpflicht,
sowie die Exterritorialität für die Angehörigen der Vertragsstaaten be-
willigt; auch fremde diplomatische, konsularische, kommissarische Ver-