496 RUDOLF STAMMLER: Die Zukunftsaufgaben des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
„Volkstüm- Rechtes keineswegs mit der Forderung eines volkstümlichen Rechtes
liches“ Recht. «opon abgetan, noch auch der Gedanke einer wissenschaftlichen Behandlung
des Rechtes etwa mit quantitativ übereinstimmender Anschauung der
Rechtsunterstellten erreicht. Wohl ist es ein erstrebenswertes Ziel, das
Recht volkstümlich zu machen; allein dieses bildet den Abschluß des
hier nötigen Vorgehens, und nicht dessen kritische Unterlage. Wenn
man nichts weiter weiß, als daß gewisse Auffassungen über bestimmte
Rechtsfragen „volkstümlich“ sind und etwa der Mehrheit der Volks-
genossen innewohnen, so ist über die innere wissenschaftliche Be-
rechtigung solcher Meinungen noch gar nichts Bedeutsames angegeben.
Zuerst kommt es darauf an, den Inhalt eines Rechtes objektiv richtig
einzusehen und auszugestalten, und dann ist erst das also sachlich be-
gründete und wissenschaftlich gerechtfertigte Recht möglichst vielen in
gleicher Art innerlich zu übermitteln.
Gegenständliche Nehmen wir sonach die Aufgabe einer gegenständlichen Einheit
ee im Rechte auf, so ist eine solche ebensowohl im Inneren des rechtlichen
Gebietes, wie in seinem Verhältnis zu den sonstigen Außerungen eines
guten Wollens herzustellen. Das erste nimmt das Recht für sich und
will unter seinem einheitlichen Oberbegriffe und dessen Grundgedanken
alle besonderen Ausstrahlungen von rechtlichem Wollen nach gleich-
bleibender Methode erfassen, das zweite will dieses also umschriebene
und beherrschte Gebiet in das Ganze menschlicher Zwecksetzung harmonisch
einfügen. Es ist dieser Gedanke, den wir nach dem eingangs Bemerkten
als Grundlage zum Aufbau unserer dermaligen Zukunftsaufgaben des
Rechtes und der Rechtswissenschaft zu beobachten haben. Zur besonderen
Ausführung müssen wir uns auf einige elementare Daten besinnen.
Technisch ge- Der besondere Inhalt einer bestimmten Rechtsordnung bietet sich
dp zunächst in technisch geformten Sätzen der Recht schaffenden Gewalt
dar. Es sind die fest gefügten Paragraphen unserer Gesetzbücher, die
oft starren Anordnungen der staatlichen Instanzen, die verhärteten Normen
einer gewohnheitsrechtlichen Übung, die in erster Linie dem Blicke des
Beschauers sich stellen. Als Niederschlag geschichtlicher Rechtserfahrung
unternehmen sie es, einer kommenden juristischen Frage im voraus mit einem
allgemein bereit gestellten, schon ausgearbeiteten Obersatz zu begegnen.
Sie werden dabei innerlich von dem Gedanken getragen, daß sie mit
ihrer bereits geformten Bestimmung das für künftige Fälle durchschnittlich
Richtige anordnen.
Aber diese fest gefügten Regeln, Artikel und Gebräuche vermögen
doch niemals das All der hier möglichen Erwägungen zu füllen. Immer
wird es demnächst Fragen geben, für welche jene überhaupt keine Ant-
wort bieten, stets mag sich der Zweifel einstellen, ob eine von ihnen
erteilte Auskunft denn auch wirklich so sein sollte, ob nicht vielleicht ein
anderer Obersatz, als der des ein für allemal festgelegten Gesetzestextes
den gegenständlichen Vorzug verdiente.