I. Die Rechtstechnik.
So hat es jeder Jurist neben seinen Paragraphen ständig noch mit Grundsätzliche
einem Zweiten zu tun. Nicht selten wird er darauf zurückgeworfen, „ne
weil die technisch geformten Sätze über eine besondere Frage überhaupt
nichts geben; oft genug verweist der staatliche Gesetzgeber selbst darauf,
wie dieses in den häufigen Vorschriften geschieht, nach „Billigkeit“ oder
nach „Treu und Glauben“, nach „wichtigem Grunde“ oder unter „Ver-
meidung des Mißbrauches“ zu entscheiden; und unter allen Umständen
entströmt dieser zweiten, grundsätzlichen Erwägung ein kritisches Urteil
über die Richtigkeit oder Verwerflichkeit einer gewissen rechtlichen An-
ordnung. Wie immer man sich bemühen möge, die genannten technisch
geformten Normen auszubauen, zu feilen und zu verbessern: immer
wird sich unvermeidlich hinter und über ihnen jenes Zweite — an
dieser Stelle bis jetzt noch Unbestimmte — erheben, das den sonst zer-
fahrenen und systematisch zufälligen Einzelsätzen technisch ausgearbeiteten
Charakters erst Einheit und inneren Halt zu verleihen imstande ist. Denn
dieses Zweite geht auf eine methodische Einsicht in die formalen
Bedingungen jeder denkbaren Rechtsbetrachtung, es ist von dem be-
sonderen Stoffe dieser oder jener einzelnen Satzung unabhängig, obschon
es diese notwendig begleitet, richtet und bestimmt.
Nun ist es ein kaum bestreitbares Kennzeichen unseres gegenwärtigen
Zeitalters, daß seine Stärke in der Energie auf technisch begrenzte
Ziele gelegen sei. Im Einklange damit können wir beobachten, daß auch
in der Rechtswissenschaft zurzeit am meisten die technische Jurisprudenz
ausgebaut ist, während sich überall Lücken und ungelöste Probleme zeigen,
sobald die reine Rechtslehre in Frage kommt, sei es als juristische
Methodenlehre für die Rechtstechnik selbst, sei es als Richtlinie für ein
Wählen nach grundsätzlich richtiger Weise. Wir entnehmen dieser Be-
obachtung die Anordnung des Folgenden dahin: daß wir zuerst von dem
Stande — und den daraus sich ergebenden Zukunftsaufgaben — der
Technik, sodann der Geschichte und schließlich der Philosophie des
Rechtes handeln.
I. Die Rechtstechnik. Die technische Jurisprudenz ist im Grunde
ihres Wesens eine reproduktive Tätigkeit. Sie hat den Inhalt von
einem besonderen geschichtlichen Rechte oder von mehreren positiven
Rechtsordnungen wiederzugeben. Ihr letztes Ziel ist also auf die Dar-
legung des Sinnes und der Bedeutung von Willensinhalten gerichtet, weil
und wie sie gerade da sind. Dabei arbeitet sie freilich nicht nur mit
verallgemeinerten, abgezogenen Begriffen, sondern sie sucht in dem
begrenzten Stoffe eines bestimmten gesetzten Rechtes wiederum eine
bedingte Einheit herzustellen; und so mag es kommen, daß es von den
Ergebnissen ihrer Arbeit mit Fug heißt, wie Kant von dem Interpreten
eines theoretischen Schriftstellers sagt: daß jener bei hingebender Nach-
forschung den Autor wohl auch einmal besser verstehen könne, als dieser
Dıe KULTUR DER GEGENWART. IL. 8.
4.97
22