Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

I. Die Rechtstechnik. 
So hat es jeder Jurist neben seinen Paragraphen ständig noch mit Grundsätzliche 
einem Zweiten zu tun. Nicht selten wird er darauf zurückgeworfen, „ne 
weil die technisch geformten Sätze über eine besondere Frage überhaupt 
nichts geben; oft genug verweist der staatliche Gesetzgeber selbst darauf, 
wie dieses in den häufigen Vorschriften geschieht, nach „Billigkeit“ oder 
nach „Treu und Glauben“, nach „wichtigem Grunde“ oder unter „Ver- 
meidung des Mißbrauches“ zu entscheiden; und unter allen Umständen 
entströmt dieser zweiten, grundsätzlichen Erwägung ein kritisches Urteil 
über die Richtigkeit oder Verwerflichkeit einer gewissen rechtlichen An- 
ordnung. Wie immer man sich bemühen möge, die genannten technisch 
geformten Normen auszubauen, zu feilen und zu verbessern: immer 
wird sich unvermeidlich hinter und über ihnen jenes Zweite — an 
dieser Stelle bis jetzt noch Unbestimmte — erheben, das den sonst zer- 
fahrenen und systematisch zufälligen Einzelsätzen technisch ausgearbeiteten 
Charakters erst Einheit und inneren Halt zu verleihen imstande ist. Denn 
dieses Zweite geht auf eine methodische Einsicht in die formalen 
Bedingungen jeder denkbaren Rechtsbetrachtung, es ist von dem be- 
sonderen Stoffe dieser oder jener einzelnen Satzung unabhängig, obschon 
es diese notwendig begleitet, richtet und bestimmt. 
Nun ist es ein kaum bestreitbares Kennzeichen unseres gegenwärtigen 
Zeitalters, daß seine Stärke in der Energie auf technisch begrenzte 
Ziele gelegen sei. Im Einklange damit können wir beobachten, daß auch 
in der Rechtswissenschaft zurzeit am meisten die technische Jurisprudenz 
ausgebaut ist, während sich überall Lücken und ungelöste Probleme zeigen, 
sobald die reine Rechtslehre in Frage kommt, sei es als juristische 
Methodenlehre für die Rechtstechnik selbst, sei es als Richtlinie für ein 
Wählen nach grundsätzlich richtiger Weise. Wir entnehmen dieser Be- 
obachtung die Anordnung des Folgenden dahin: daß wir zuerst von dem 
Stande — und den daraus sich ergebenden Zukunftsaufgaben — der 
Technik, sodann der Geschichte und schließlich der Philosophie des 
Rechtes handeln. 
I. Die Rechtstechnik. Die technische Jurisprudenz ist im Grunde 
ihres Wesens eine reproduktive Tätigkeit. Sie hat den Inhalt von 
einem besonderen geschichtlichen Rechte oder von mehreren positiven 
Rechtsordnungen wiederzugeben. Ihr letztes Ziel ist also auf die Dar- 
legung des Sinnes und der Bedeutung von Willensinhalten gerichtet, weil 
und wie sie gerade da sind. Dabei arbeitet sie freilich nicht nur mit 
verallgemeinerten, abgezogenen Begriffen, sondern sie sucht in dem 
begrenzten Stoffe eines bestimmten gesetzten Rechtes wiederum eine 
bedingte Einheit herzustellen; und so mag es kommen, daß es von den 
Ergebnissen ihrer Arbeit mit Fug heißt, wie Kant von dem Interpreten 
eines theoretischen Schriftstellers sagt: daß jener bei hingebender Nach- 
forschung den Autor wohl auch einmal besser verstehen könne, als dieser 
Dıe KULTUR DER GEGENWART. IL. 8. 
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